Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Stern fliegt vorbei

Ein Stern fliegt vorbei

Titel: Ein Stern fliegt vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
Vom Netzwerk:
gehen.“
    „Du bist doch erst Mitte Zwanzig, du hast doch noch viel Zeit“, spöttelte Loto. „Aber Spaß beiseite – mir geht es zu schnell.“
    „Aber, es geht alles nach Plan.“
    „Stimmt schon“, gab Loto zu. „Aber ich denke an unsere jungen Leute hier, an die Monteure. Sie haben nur eine Woche Umstellungstraining – früher hatten wir über einen Monat.“
    „Die Wissenschaft beschleunigt eben alles“, antwortete Kathleen leichthin und drehte sich um.
    „Vorsicht!“ schrie in diesem Moment eine fremde, junge Stimme aus den Lautsprechern ihrer Helme. Sie blickten sich um. Kathleen sah es zuerst: Links von ihnen, etwas höher, als sie standen, hatte ein Transporter eine Kuppelschale abgesetzt und dabei die Haftmagneten etwas zu früh gelöst. Die Schale war auf die Wölbung gefallen und hatte angefangen zu schaukeln und sich dabei zu drehen. Sie trudelte schon mit langsamen Drehungen den sanften Hang herunter auf ihren Standort zu. Nur Sekunden blieben ihnen. Kathleen sah sich um.
    „Krater!“ rief Loto.
    Kathleen sah, wie Loto Gemba sprang, und folgte ihm.
    Langsam erst, dann schneller und schneller sanken die beiden Gestalten in den Krater und kamen nach vier Sekunden mit einer Geschwindigkeit auf, als wären sie auf der Erde aus drei Meter Höhe gesprungen.
    Kathleen hatte während des Falles gesehen, daß Loto heftig hatte schlenkern müssen, um mit den Beinen an einem Teil der Sendeanlage vorbeizukommen. Sie fiel auf die Füße, fing den Schwung ab und sah sofort zu Loto hinüber.
    Der versuchte sich aufzurichten. Kathleen konnte nichts hören, denn das Kabel zwischen ihnen war nun natürlich getrennt, aber sie meinte Lotos Bewegungen anzusehen, daß er Schmerz empfand. Mit einem Satz war sie bei ihm und wollte ihm helfen aufzustehen, aber Loto wehrte mit einer Handbewegung ab, erhob sich vorsichtig, hinkte ein paar Schritte und faßte sich plötzlich mit einer schmerzvollen Gebärde an den linken Arm.
    „Was ist mit dem Arm?“ fragte Kathleen, nachdem sie die Telefonleitung wieder zusammengekoppelt hatte.
    „Wahrscheinlich gebrochen, verflucht! Alte Leute sollten keinen Leistungssport mehr treiben.“
    „Hier Dispatcher! Was ist los? Wer hat gerufen? Bitte melden“, dröhnte eine Stimme aus dem Helmfunk. Kathleen sah nach oben. Dort, am Kraterrand, lag friedlich die Kuppelschale. Vor ihr stand eine Gestalt im Raumanzug und hob die Arme seitwärts, was in der Zeichensprache der Monteure bedeutete: Soll ich zu Hilfe kommen?
    Kathleen schwenkte die Hand über dem Kopf: Nein, danke, ist nicht nötig.
     
    Wie in solchen Fällen üblich, untersuchte die Versammlung der vierten Schicht eine Woche später die Ursachen des Unfalls.
    Loto, der mit dem Arm in der Schiene dazu erschienen war, hatte Kummer und Freude daran, und beides, weil die Schichtführerin, Ljuba Lushkina, ihn attackierte. Kummer, weil sie ihm nachwies, daß er sich ohne Anmeldung, also regelwidrig, im Gebiet der Baustelle aufgehalten habe, und Freude, weil sie es mit vor Zorn blitzenden Augen und ohne jeden Respekt tat. Die andern stimmten ihr offensichtlich zu. Nicht daß sie den ungeschickten Fahrer des Transporters, Miguel Hernandez, verschont hätten – der hatte seine Strafpredigt schon weg. Aber die Schicht vertrat nicht zu Unrecht den Standpunkt, daß man die Einhaltung von Vorschriften vor allem von denen verlangen müsse, die sie erlassen hatten.
    So ernst sich jedoch Loto äußerlich gab – innerlich schmunzelte er ein bißchen. Die Erregung der Versammlung zeigte, welche seelische Anstrengung es für die jungen Monteure bedeutete, ihm gegenüber rückhaltlos zu reden. Als Verhandlungssprache war Russisch beschlossen worden, mit Rücksicht auf die Versammlungsleiterin, und während Ljuba, die sich also ihrer Muttersprache bedienen konnte, stets schnell und ohne Atempause sprach, als fürchte sie, daß sie Angst vor der eigenen Courage bekommen könnte, gaben die anderen mehr oder weniger explosive Brocken von sich. Einige benutzten sogar die Fremdsprache als Deckung, um ein paar Unverschämtheiten an den Mann zu bringen.
    Loto nahm das Wort, unterdrückte seinen Groll gegen den Fahrer und schlug folgenden Schuldspruch vor: 40% auf ihn, 30% auf Kathleen und 30% auf den Fahrer. Er schlug auch vor, den Spruch der Baubelegschaft zur Kenntnis zu geben und dann ins Bauprotokoll aufzunehmen. Mit diesem Vorschlag waren eigentlich alle einverstanden; aber nun hatten sie noch ihre Erregung im Herzen und wußten nicht

Weitere Kostenlose Bücher