Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Stern fliegt vorbei

Ein Stern fliegt vorbei

Titel: Ein Stern fliegt vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
Vom Netzwerk:
Kosmonautik unverändert groß ist, daß aber von hundert Bewerbern, die alle Tests erfolgreich absolviert haben, nur einer genommen werden kann. Die andern neunundneunzig werden wohl die jetzige Entwicklung mit Freuden begrüßen. Das ist nun zwar auch eine spekulative Frage – aber: Glauben Sie, daß auch nach der Expedition das jetzige Entwicklungstempo beibehalten wird, daß also künftig mehr Chancen bestehen für kosmonautische Kandidaten?“
    „Das wird davon abhängen, was die Expedition dort vorfindet, aber“ – er lächelte übermütig – „ich glaub schon.“ Er fügte jedoch gleich hinzu: „Ich glaube das, weil die technische Entwicklung auch in puncto Tempo ihre eigene Logik hat. Und nun, da offenbar keine Fragen zur Sache mehr vorliegen“ – er blickte sich noch einmal prüfend um, sah aber niemanden, der sich meldete –, „schließe ich die Pressekonferenz.“
    Er packte sein Manuskript zusammen und wandte sich zur Tür, da stand der alte Schweizer vor ihm. Er grinste. „Ich hab mal einen gekannt, der war auch Reporter, der schimpfte immer auf die Ämter, denen man alles mit der Zange aus den Zähnen reißen mußte. Hatte eine kolossale Ähnlichkeit mit Ihnen, der Mann.“
    „Und ich“, antwortete Lutz, ebenfalls lächelnd, „hab einen gekannt, der dann immer darauf hinwies, daß die Ämter auch eine Verantwortung haben. Vielleicht erinnern Sie sich?“ Und er hielt ihm lachend die Hand hin.
    Der alte Schweizer schlug ein. „Gut, ich erinnere mich. Hoffentlich erinnern Sie sich zu gegebener Zeit auch.“
    Lutz fühlte sich plötzlich sehr abgespannt und müde. Er brauchte seine ganze Kraft, um sich noch einmal klarzumachen, daß der Beschluß, den er ausgeführt hatte, notwendig und richtig war und daß er selbst zu Recht auf die Möglichkeit verzichtet hatte, den Auftrag aus moralischen Bedenken abzulehnen.
    Der Fußweg durch die subtropische Landschaft mit ihrer klaren Luft beruhigte ihn zwar, hob aber nicht wie sonst seine Stimmung. Denn allmählich wurde ihm klar, daß seine Bedenken heute erst ein Vorgeschmack gewesen sein konnten auf die auch seelischen Probleme und Schwierigkeiten, die noch zu meistern waren, bis die Gefahr einmal gebannt sein würde. Und er begriff, wie weit er noch davon entfernt war, über die Festigkeit des Willens und die Sicherheit des Urteils gerade in ungeahnten, beispiellosen Situationen zu verfügen, die er brauchen würde, die die Ereignisse von ihm verlangen würden, wenn er wirklich die ihm zugedachte führende Stelle in den Arbeiten der nächsten Jahrzehnte einnehmen sollte.
    Tief in Gedanken versunken, öffnete er die Tür und trat in seinen Bungalow.
    „Nanu – sieht so ein Sieger aus?“
    Strahlend wie der Himmel über dem Kilimandscharo stand Yvonne vor ihm. Sie lachte über sein verdutztes Gesicht, dann verbeugte sie sich mit komischer Grandezza. „Ich senke mein Haupt vor der Weisheit eines Großen“, sagte sie in unerhört würdevoller Art, aber dann kehrte sie doch zu ihrem normalen, sachlich-fröhlichen Ton zurück. „Im Ernst – du bist mir zehn Jahre älter und zwanzig Jahre klüger vorgekommen als sonst. Ich habe alles verfolgt, über deinen Fernseher hier… Aber was ist denn los mit dir? He – ich soll dich grüßen von allen, von der Chefin und…“
    Yvonne verstummte. Lutz hatte sich in einen Sessel fallen lassen und sah sie mit ausdruckslosem Gesicht an.
    „Es war ein hartes Stück Arbeit, wie?“ begann sie noch einmal zaghaft; dann nahm sie kurz entschlossen einen Sessel, rückte ihn neben seinen und setzte sich ebenfalls. Manchmal, dachte sie – und es war eine Entdeckung für sie –, manchmal ist es wichtiger, miteinander zu schweigen.
    Lutz hatte eine jähe, tiefe Freude gefühlt, als er Yvonne sah. Aber ihr fröhliches Geschwätz störte ihn, und als sie nun schwieg, versuchte er den unterbrochenen Gedankengang wieder aufzunehmen. Es gelang ihm nicht – Zweifel und Verdruß, die seine Gedanken angetrieben hatten, waren gewichen, und er fühlte, wie das ruhige Glück schweigender Übereinstimmung alles löste, was sich verkrampft hatte. Er sah seine Hand neben ihrer Hand auf den benachbarten Sessellehnen liegen und fühlte, daß jede auf die andere wartete, und er ahnte auch, daß jetzt der Moment gekommen war, wo sie wünschte, er möge – wie es in alten Schriften heißt – sich erklären; aber er scheute davor zurück, diesen Zustand der Ruhe zu unterbrechen, der so nie wiederkehren würde.
    Er war jetzt fast

Weitere Kostenlose Bücher