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Ein Stern fliegt vorbei

Ein Stern fliegt vorbei

Titel: Ein Stern fliegt vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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stören, die gewiß schon in Gedanken an Hypothesen bauten und den wenigen Tatsachen, die es bisher hier zu sehen gab, sicherlich sehr viel mehr entnehmen konnten als sie. Klar war nur: Das ganze riesige Labor war verdampft und hatte sich zu einem glühenden Gasball zusammengezogen.
    Die drei Minuten waren um, und der schwarze Fleck hatte I-rens Markierung des vorigen Minimums erreicht – aber er schrumpfte noch eine halbe Minute weiter. Dafür brauchte die folgende Ausdehnung, von noch stärkerem Rauschen als die letzte begleitet und auch über das markierte Maximum hinausgehend, wieder zwei Sekunden weniger Zeit.
    Irgend etwas daran beunruhigte Nadja. Die Einschätzung von Prozessen auf ihre mögliche Gefährlichkeit hin war ihr durch lange Tätigkeit bei der Weltsicherheitskommission so in Fleisch und Blut übergegangen, daß sie Bedrohliches oft mit dem Gefühl erfaßte, noch ehe sie es gedanklich begründen konnte. Jedoch einmal in diese Richtung gelenkt, arbeitete ihr Verstand weiter, rasch und exakt: Das Pulsieren war nur durch entgegengesetzt wirkende Kräfte zu erklären, was auch immer das für Kräfte sein mochten; und die Veränderungen in der Pulsation deuteten darauf hin, daß das labile Gleichgewicht zwischen diesen Kräften immer mehr zerfiel. Dann aber konnte es nur zwei mögliche Endpunkte des Prozesses geben: den Sieg der Kontraktionskraft, der Stillstand bedeuten würde, oder den Sieg der Expansionskraft, der – Explosion bedeuten würde. Und gewöhnt, alles nach verschiedenen Richtungen zu durchdenken, kam sie sofort auf einen weiteren Gedanken: Die Strahlung, die das Rauschen hervorrief und die ja auch anwuchs – konnte sie nicht so stark werden, daß sie die Steuerelektronik ihrer Rakete lahmlegte?
    Flüchtig kam ihr der Gedanke, daß sie vielleicht zu schwarz sehe, weil ihr diese Prozesse fremd waren. Aber Duncan schien den gleichen Gedanken gehabt zu haben, denn er sagte: „Eine Pulsation warten wir noch ab, dann ziehen wir uns zurück.“
    Ich sollte es sagen, das mit der Elektronik, dachte Nadja, aber sie unterließ es dann doch, weil sie annahm, daß Duncan auch das bedacht hätte, und weil man ja das eine Mal wohl ruhig noch würde abwarten dürfen.
    Dann war wieder das Rauschen im Helm, jetzt fast schon ein Dröhnen. Und dann erlosch plötzlich der Bildschirm. Es war dunkel in der Kabine.
    Nadja drehte sich nach vorn um und stutzte; die Frontscheibe der Rakete war schwarz. Wo war der Feuerball geblieben?
    Als das Rauschen programmgemäß aufhörte, sagte Duncan: „Durchgebrannt. Es ist der Fluch der Automatik, daß man sie manchmal für selbstverständlich hält.“
    Nun wurde Nadja klar, was geschehen war. Das Fernsehbild war automatisch geregelt worden, eben bis der Regler die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit erreicht hatte und die Strahlung stärker wurde als die Regelfähigkeit. Ebenso mußte auch die Automatik der Steuerung die Rakete herumgeschwenkt haben, um den ihr aufgegebenen Abstand zu halten. In diesem Augenblick erschien an der Frontseite wieder der Sternhimmel und ein Stück des Venusrandes, und Nadja sah an den Sternbildern, daß sie richtig vermutet hatte.
    „Und jetzt“, sagte Duncan, „ist der Einspruch des Diensthabenden an der Reihe, beachtet zu werden. Achtung!“ Seine Hände flogen über die Tastatur der automatischen Steuerung.
    Ein Ruck ging durch die Rakete, die Drehsitze schwangen herum, sie wurden in die Sessel gepreßt. Duncan hatte den Antrieb eingeschaltet.
    Duncan drückte die Taste für die Funksprechverbindung. „Achtung, Zwo!“ rief er. „Achtung, Zwo! Wir nehmen Kurs auf Station. Behalten Sie Ihre Bahn bei und beobachten Sie weiter! Kommen!“
    Aber es kam nur Knattern und Krachen aus dem Lautsprecher. Duncan wiederholte den Ruf, jedoch mit dem gleichen negativen Ergebnis. Er schaltete ab. „Wahrscheinlich ist unsere Oberfläche so stark elektrisch aufgeladen, daß die Funkimpulse völlig deformiert werden. Wir müssen warten damit.“
    Mit einem leisen Singen in den Helmen kündigte sich die nächste Ausdehnungsperiode der kleinen Sonne an. „Die Strahlung!“ rief Nadja. „Wenn die Steuerelektronik…“ Ihre weiteren Worte gingen im gewaltig anschwellenden Dröhnen unter, aber Duncan hatte offensichtlich noch verstanden, was sie meinte: Mit einem blitzschnellen Griff schaltete er den gesamten Antrieb ab – keinen Augenblick zu früh: Ein paar Rucke und Stöße ließen erkennen, daß der Antrieb bereits ungleichmäßig arbeitete.

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