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Ein Stern fliegt vorbei

Ein Stern fliegt vorbei

Titel: Ein Stern fliegt vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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der Selbstkritik aber ist der Anfang vom Ende jeder schöpferischen Arbeit!
    Sie wurde unsicher, beobachtete sich noch genauer, fand sich immer weniger in sich selbst zurecht. Dann wieder gab es Tage, an denen diese Beklemmung vollkommen verschwunden schien; sie atmete auf, gab sich übermütigen Launen hin, sprudelte über vor Phantasie und fiel nach wenigen Tagen in den alten Zustand zurück. Jeder Sturz erschien ihr tiefer, dauerhafter. Die Kybernetikerin, gewohnt, all und jedem Prozeß der Natur seinen Algorithmus abzulauschen, verstand sich selbst nicht mehr.
    Sie suchte schon keine Analogien mehr für ihren Zustand, sie suchte nur noch einen festen Halt. Sie wußte irgendwoher ganz genau, daß sie diesen Halt in Lutz nicht finden konnte. Sie konnte das nicht begründen, und sie konnte es ihm nicht einmal sagen, ohne ihn unverdient zu kränken. Sie wußte, daß sie diesen Halt in sich selbst finden mußte. Und eines Abends…
    Eines Abends saßen sie wie häufig beisammen und schwiegen. Und da kam es über sie mit der Kraft einer Erleuchtung, sie wußte es plötzlich so genau, daß sie für sich selbst Argumente als überflüssig und lästig empfand. Trotzdem setzte sie sich eine Woche Frist, um sich zu prüfen. Sie bestand diese Prüfung vor sich selbst.
    Freitags war es dann, in ihrer Schummerstunde. Lutz brach das Schweigen. „Weißt du, ich habe immer noch keine Vorstellung, wie wir dem Ding da“ – er meinte das Feld, die Gefahr für die Erde, die Aufgabe, die sie sich gestellt hatten, das alles meinte er –, „wie wir dem Ding beikommen sollen.“
    „Ich weiß“, sagte Yvonne. „Es wird die Kraft der Menschheit brauchen, die ganze langfristige Planung wird es umwerfen, wir werden uns vielleicht Einschränkungen auferlegen müssen wie in vorgeschichtlichen Zeiten. Und deshalb“, fuhr sie mit unergründlicher Logik fort, „und deshalb möchte ich ein Kind haben.“ Sie hatte das so im normalen Unterhaltungston gesagt, daß Lutz den eigentlichen Sinn zunächst nicht begriff. Er setzte sich zu ihr und umarmte sie. „Ich auch“, flüsterte er ihr ins Ohr. „Wenn wir wieder auf der Erde sind.“
    „Nein“, sagte Yvonne zärtlich, „jetzt!“
    Sie redeten noch lange darüber, das heißt Lutz redete, und Yvonne war sehr sanft und stimmte allen Argumenten zu und setzte zum Schluß, wie das meist in solchen Fällen geschieht, doch ihren Kopf durch. Oder vielmehr: ihr Herz.
     
    Wochen vergingen. War es nun die Kraft der Autosuggestion, oder waren es tatsächlich die psychischen Veränderungen, die mit der beginnenden Schwangerschaft Hand in Hand gingen – die Beklemmungen waren von Yvonne abgefallen wie vertrocknete Schalen.
    Statt der inneren Beklemmungen gab es jetzt Vorwürfe von außen.
    Kapitän Hellrath setzte in einer Ratssitzung Yvonnes Schwangerschaft auf die Tagesordnung. Die ärztliche Untersuchung hatte sie bestätigt, und damit war sie eine offizielle Tatsache geworden.
    Man sah es Henner Hellrath an, daß es ihm peinlich war, solche Kritik üben zu müssen. Sabine Hellrath sah bekümmert drein, und auch die Kapitäne Morrell und Schtscherbin sahen erstaunt aus ihren Bildschirmen.
    Henner Hellrath versuchte sich schonend auszudrücken, aber es gelang ihm nicht ganz. Er könne, sagte er, den beiden Gembas den Vorwurf nicht ersparen, daß sie als Leitungsmitglieder die Disziplin verletzt und ein uraltes Gesetz der Raumfahrer gebrochen hätten.
    Yvonne schien davon nicht beeindruckt zu sein, sagte aber nichts dazu. Lutz wies diesen Vorwurf zurück: „Es gibt im Statut der Expedition kein Verbot dafür.“
    „Aber die Bestimmungen der Raumbehörde…“
    „… sind für diese Expedition aufgehoben.“
    „Ja, die Bestimmungen über Funkbegrenzung, Maximalbeschleunigung, Reisezeit und so weiter, die für uns sowieso sinnlos oder unzweckmäßig waren…“
    „Nein – alle Bestimmungen insgesamt!“ triumphierte Lutz.
    Die anderen Ratsmitglieder folgten dem Rededuell mit wachsendem Unbehagen; weniger, weil solche intime Frage in diesem offiziellen Kreis behandelt wurde – Verantwortung ging schließlich über Zartgefühl; mehr deshalb, weil hier eine ethische Frage rein formal-rechtlich zerredet wurde.
    Kapitän Morrell, der Älteste in diesem Kreis, legte sich ins Mittel. „Ich verstehe nicht ganz – ihr seid doch noch jung, habt ihr nicht noch genügend Zeit dazu, wenn wir wieder auf der Erde sind?“
    Unvermutet antwortete Yvonne, lächelnd, mit freundlicher Stimme: „Nein, ich

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