Ein Stern fliegt vorbei
eingeschlossen wurde – selbst Yvonne war nicht ganz frei davon.
„Ich schlage vor, daß mein Schüler Miguel Hernandez die Ehre zugestanden bekommt, unsere Fragen zu kodieren und einzugeben“, sagte sie, und ohne die Zustimmung abzuwarten, die sie ja auch gar nicht brauchte, fuhr sie fort: „Natürlich müssen wir später ein durchdachtes Programm von Fragen ausarbeiten, aber warum sollen wir nicht erst einmal ein wenig spielen; ich meine, unsere Phantasie, unsere Einfälle spielen lassen? Also – wer stellt die erste Frage?“
Henner zuckte die Schultern. Lutz sagte: „Mich würde interessieren, wie das Feld entstanden ist. Ich meine, ob es immer so ausgesehen hat.“
„Gut!“ sagte Miguel, der am Schaltpult saß und auf einem Lochstreifen die Frage kodierte. „Ich lasse das Modell zeitlich zurücklaufen, und zwar im Zeitverhältnis eins zu eine Milliarde.“
„Was versprichst du dir davon?“ fragte Henner, während Miguel schon das Band einlegte und durchlaufen ließ.
„Versprechen?“ fragte Lutz zurück. „Ich weiß nicht. Aber es hat doch keinen Sinn, Dinge zu fragen, die wir wissen oder die wir selbst beobachten können.“
„Was geht jetzt darin vor?“ fragte Henner Miguel mit einem Blick auf das Schaltpult. „Erklären Sie mir das mal!“
Henner hatte so gefragt, daß man im Zweifel sein konnte, ob er es tatsächlich erst erfahren oder ob er den Schüler prüfen wollte. Er spürte das auch und fügte deshalb hinzu: „Ich habe wirklich keine rechte Vorstellung davon – ich meine nicht die technischen Vorgänge, die kenne ich natürlich im Prinzip, ich meine das… das eigentliche…“
„Das Modell“, erklärte Miguel in bescheidenem Stolz, „simuliert die Zustände, die das Feld in der Vergangenheit durchlaufen hat, nur etwa eine Milliarde mal schneller – das heißt also, hundert Jahre dauern hier etwa drei Sekunden.“
Plötzlich ertönte ein leises Signal, eine rote Lampe leuchtete auf.
„Das Modell hat einen Anfangszustand, es läßt sich nicht weiter zurückverfolgen“, verkündete Miguel und drückte die Ausgangstaste.
Nach wenigen Sekunden warf die Anlage einen Druckbogen aus.
Alle Köpfe beugten sich über den Bogen. Deutlich waren die fünf Planetoiden zu erkennen – und ein zunächst undefinierbarer grauer Fleck.
„Das kann doch nur bedeuten“, sagte Yvonne, „daß alle Bruchstücke und Schwärme aus diesem Fleck gekommen sind. Natürlich kann das Modell keine Aussagen liefern über Zustände, die noch weiter zurückliegen, aber das spricht doch für die Hypothese vom Zusammenprall.“
„Ja“, meinte Miguel, „wenn das Modell stimmt.“
Zwei Methoden fanden die Mathematiker, um in diesem Punkt zu einiger Sicherheit zu kommen. In vierzehn Tage langer Arbeit fügten sie dem System der verarbeiteten Informationen über das Feld weitere angenommene Bahnelemente fiktiver Körper hinzu, deren Gesamtmasse etwa zehn Prozent der Masse des Feldes ausmachte, um damit eventuell noch nicht beobachtete Körper zu simulieren. Das Ergebnis blieb erhalten und verschob sich nur etwas in der Zeit.
Noch wichtiger war die zweite Methode. Sie ging aus von dem alten Satz, daß die Praxis der Beweis für die Richtigkeit des Modells oder, sprichwörtlich ausgedrückt, das Essen die Probe auf den Pudding ist. Gelang es mit Hilfe des Modells Aussagen zu machen, deren Richtigkeit jetzt und hier überprüfbar war, und bestätigte die Prüfung das Modell, dann war mit hoher Sicherheit anzunehmen, daß das Modell zuverlässig war.
Sie benutzten dabei eine Eigenschaft des Modells, die sich mathematisch schwer beschreiben läßt und die man höchstens mit einem bildlichen Ausdruck umschreiben kann: Das Modell war an den Rändern verwischt.
Anders gesagt: Während es auf Fragen, die die inneren zwei Drittel des Feldes betrafen, mit ganz exakten Werten antwortete, hatten die Angaben über das äußere Drittel eine hohe Toleranz, die manchmal bis zu 2 Prozent des Wertes ging. Das konnte verschiedene Ursachen haben. Eine der möglichen Ursachen konnte sein, daß sich in dem jeweiligen Bereich noch nicht registrierte Massen aufhielten. Die Mathematiker stellten deshalb dem Modell die Aufgabe, in einigen eng begrenzten Bereichen die Punkte zu errechnen, an denen sich solche Massen theoretisch aufhalten müßten. So wie einst der Planet Pluto gefunden wurde, nachdem man seine Existenz und seinen Ort aus Bahnstörungen des Uranus errechnet hatte – genauso fand man an den meisten Stellen,
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