Ein Stern für Lou - Die Popkörner ; [1]
ruinierst wegen… wegen dieses Cowboymädchens!«
Draußen wartete Lou. Sie hatte ihre Gitarrentasche geholt und ihre türkisfarbene Umhängetasche in den Fahrradkorb gelegt. In knapp zehn Minuten begann ihre zweite Stunde bei Felix, von der sie keine einzige Sekunde verpassen wollte. Sie blickte auf ihre Armbanduhr. Wo blieb Motte nur? Erst wollte sie unbedingt mit und dann kam sie nicht! In diesem Moment hörte sie es: In der Jacobi-Villa hämmerte jemand so stark auf das Klavier ein, dass man es sogar durch die geschlossenen Fenster hören konnte. Das Klavier donnerte und grollte und Lou wusste sofort, dass es nur Motte sein konnte. So machte sie sich allein auf den Weg.
Felix’ Haus stand genau gegenüber des schmalen Gangs, der zum Strand führte. Dort am Geländer schloss Lou ihr Rad an. Im Geiste wiederholte sie noch einmal die Griffe, die sie die ganze Woche geübt hatte: C-Dur, A-Dur, G-Dur, H7, e-Moll . Ob ihr der Wechsel diesmal besser gelingen würde? Sie war mit ihren Gedanken schon so sehr bei der Gitarrenstunde, dass sie ihre Tasche im Korb vergaß.
Billie hatte die halbe Klassenliste abtelefoniert, bis sie endlich in Erfahrung gebracht hatte, dass Lous Gitarrenunterricht um vier Uhr bei Felix zu Hause stattfand. Billies Geduld war erschöpft. Sie hatte das Hippiemädchen mehr als einmal gewarnt, nicht in ihr Revier vorzudringen. Und Felix gehörte eindeutig in IHR REVIER. Aber Lou wollte es entweder nicht kapieren oder sie war zu dämlich. Als Billie an diesem Nachmittag in den Övelgönner Strandweg einbog, hatte sie noch keinen konkreten Plan, doch sie warf ihren langen roten Zopf nach hinten und lächelte siegesgewiss. Ihr würde schon etwas einfallen, da war sie sicher.
Keuchend und erschöpft hetzte Motte die Himmelsleiter hinunter, die von der Elbchaussee zur Elbe führte. Noch immer bebten ihre Hände vor Wut und Anstrengung. Fast eine Stunde hatte sie sich am Klavier die Seele aus dem Leib gespielt. Bis Grandmère mit verwundertem Gesicht im Erdgeschoss erschien und fragte, ob Motte das Haus zum Einstürzen bringen wollte. An den vor Zorn blitzenden Augen ihrer Enkelin konnte Grandmère ablesen, dass sie genau ins Schwarze getroffen hatte. Und als Motte ihr dann noch eindringlich erklärte, dass sie in diesem Moment eigentlich bei Lou sein müsste, weil sonst möglicherweise etwas Schlimmes passieren könnte, hatte Grandmère keine weiteren Fragen gestellt. Wortlos hatte sie Motte ein Zeichen gegeben, den Klavierhocker zu räumen, und statt ihrer dort Platz genommen. Und während Motte lautlos durch die Terrassentür des Musikzimmers verschwunden war, hatte Grandmère eine Seite im Notenheft umgeblättert und weitergespielt.
Nun sah Motte auf die Uhr. Es war fünf nach fünf. Lous Gitarrenstunde war zu Ende. Hoffentlich erwischte sie sie noch, wenn sie aus dem Haus kam. Motte lief das letzte Stück. Vor dem Haus stand niemand, und als Motte sich umsah, entdeckte sie Lous Fahrrad, das auf der anderen Seite angeschlossen war. Glück gehabt! Offenbar übte sie noch etwas länger.
Motte hatte gerade die Pforte geöffnet, als sie aus dem Augenwinkel etwas Rotes bemerkte. Ihre Augen weiteten sich. Auf dem Ponton, der direkt unterhalb der Häuserzeile am Strand lag, stand Billie! Motte starrte zu ihr hinüber. Seit wann hatte Billie denn auch so eine türkisfarbene Tasche wie Lou?
»Das ist Lous Tasche!«, erkannte Motte in diesem Moment und stürmte die Treppe zum Strand runter. Was hatte Billie damit vor? So schnell Motte konnte, überquerte sie den Strand, doch ihre Füße versanken im weichen Sand, und als sie den Ponton erreichte, stand Billie schon ganz vorne an der Kante und hielt etwas über das Wasser.
»Halt!«, schrie Motte von hinten. »Tu es nicht!«
Da holte Billie Schwung und schleuderte das Notizbuch in den Fluss.
Sprachlos kam Motte neben ihr zum Stehen. Vor ihr auf den kabbeligen Wellen der Elbe trieb Lous Traumbuch!
»Ooooh, da ist mir wohl was aus der Hand gefallen«, sagte Billie und sah Motte mitleidig an.
»Du mieses Stück! Du Diebin!« Motte schäumte vor Wut. Am liebsten hätte sie Billie direkt hinterhergeschubst, aber jetzt war nicht der Zeitpunkt, sich um Billie zu kümmern. Das musste warten, bis sie Lous Buch aus dem Wasser gefischt hatte. Sie sah sich auf dem Ponton um. Hier musste es doch irgendetwas geben – eine Rettungsstange, ein Ruder!
»Hey, Motte!«, hörte sie da Lous Stimme vom Strand. »Hier bist du«, rief sie fröhlich und kam auf den
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