Ein Strandkorb für Oma
Vernissagen dieser Preisklasse in Hamburg oder anderswo. Kein roter Teppich, kein Protz. Viele haben ihren Wagen auf dem Festland gelassen und sind mit dem Fahrrad da. Selten sieht man so verschiedene Menschen miteinander gehen, teures dunkelblaues Tuch plaudert mit Streetwear, und Touristen in Urlauberkleidung kommentieren von der Seite. Großes Thema überall ist natürlich der Kunstraub. Ein bisschen sind alle auch neugierig, an diesem Abend den Tatort eines Verbrechens kennenzulernen.
Schon auf der Straße treffen wir die ersten Bekannten, Gerda und Annalena, außerdem Vogelwart Markus von den Seevögeln, den rundlichen Hotelchef Holger Ketels von den Knurrhähnen, der mir mit seinen kleinen Augen fröhlich zuzwinkert, und meinen Freund Brar, den Autohändler, der mir auf die Schulter haut und eine vernichtende Revanche für unser letztes Tischtennis-Match ankündigt (das ich gewonnen habe, wenn auch nur mit einem Punkt Vorsprung).
Oma kämpft gegen ihre chronische Müdigkeit, das ist ihr deutlich anzumerken.
«Wenn du nach Hause willst, sagst du Bescheid», biete ich ihr an.
«Na, das ist ja eine tolle Ansage, am Beginn einer Party», beschwert sie sich. Hoffentlich geht das gut.
Der alte Dorfgasthof, in dem die legendäre Wirtin Grethjen Hayen im letzten Jahrhundert hin und wieder Maler beherbergte, wurde neu aufgebaut; die Fassade hat man weiß bemalt. An der Wand des Gastraums steht riesengroß ihr Sinnspruch:
Nee, wi hebb’n eenmol ein Maler hat, nie weder wüll’s wi en Maler hebb’n
. (Nee, wir haben schon einmal einen Maler gehabt, nie wieder wollen wir einen Maler haben.) Das soll sie zu Heinrich Otto Engel gesagt haben, als der bei ihr wohnen wollte. Mit der wunderbaren Pointe, dass er anschließend elf Sommer kam und ihr Gasthof posthum zum Kunstmuseum ausgebaut wurde. Um das Haus gruppieren sich eine reetgedeckte Scheune und zwei schlichte rechteckige Quader aus gelbem skandinavischem Klinker, es gibt einen großen windgeschützten Innenhof.
Am Eingang des weißen Gasthofes werden wir herzlich von Friederike begrüßt. Ihre beiden Zöpfe sitzen perfekt, und die blauen Augen leuchten freundlich wie immer, sie lässt sich uns gegenüber nichts anmerken. Immerhin steht das Museum offenbar zu ihr, wenn sie trotz des Verdachts der Polizei hier am Eingang die Karten kontrollieren darf.
Ich nehme sie beiseite. «Maria weiß nichts von der DVD », flüstere ich ihr ins Ohr.
«Trotzdem ist die Polizei hinter mir her», antwortet sie. «Das muss ein Ende haben.»
«Ich regele das», verspreche ich. Maria muss dringend mit ins Boot! Die Ermittlungen gegen Friederike sind eine üble Panne, die keiner absehen konnte.
Friederike grinst: «Die können mir zum Glück nichts beweisen!»
«Du warst es ja auch nicht.»
Sie nickt und reißt die Karten der nächsten Besucher ab: «Viel Spaß heute Abend!»
Überall sieht man frisch geduschte, kultivierte Menschen mit sauberen Fingernägeln, die ein Glas Sekt in der Hand halten. Im Vorbeigehen höre ich neben Friesisch und Deutsch noch Dänisch, Englisch, Schwedisch, Norwegisch und Niederländisch, sogar Russisch. Was mit dem internationalen Renommee des Museums, aber auch mit der Biographie des Stifters und der des dänischen Direktors Jesper Ringstaed zusammenhängt. Begriffe wie «Fjord» und «Sturmflut» fallen unter den Vernissage-Gästen häufiger als «Point of Sale» oder «geschätzter Marktwert», was ich sehr angenehm finde.
Die Terrasse des Innenhofs ist voller Menschen, ich erkenne Christian, den Verwaltungsleiter der Inselklinik, Lükki, der bei Oma gelöscht hat, Bürgermeister Brodersen aus Nieblum, alle in Fischerhemden mit rotem Halstuch. Einige Auswärtige glauben, hier seien echte Fischer anwesend, und das sollen sie wohl auch.
Es scheint an diesem Abend zur Nacht hin immer wärmer zu werden statt kälter. In der Mitte des Innenhofs sitzen Jade und Momme im Schneidersitz auf dem Rasen, Jade in voller schwarzer Montur mit Ledermantel. Irgendwie gefällt es mir, dass die Tradition weitergereicht wird, sich in einem bestimmten Alter im Schneidersitz demonstrativ auf den Boden zu setzen, wo sonst nur Leute stehen, um zu zeigen, dass man anders ist. Momme sieht etwas unsicher aus. Zugegeben, Jade hat es leichter als er, sie ist in zehn Tagen wieder in Frankfurt, Insulanerjunge Momme dagegen wird die meisten Leute täglich wiedertreffen, zum Beispiel seinen Mathelehrer, den ich am Sektstand gesehen habe, und seinen
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