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Ein Strandkorb für Oma

Ein Strandkorb für Oma

Titel: Ein Strandkorb für Oma
Autoren: Janne Mommsen
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bleibt starr und dunkelgrau. Nur eine leichte Brise bringt Bewegung in die Weite. Wir fahren stumm im Polizeiwagen die fünf Minuten von Süderende nach Dunsum und gehen dort über den Deich. Die Flut vor ein paar Tagen hat ihren Höchststand am Deichsaum mit einer Borte aus Schilf, Tang und Plastikflaschen markiert, dazwischen findet sich der eine oder andere tote Fisch. Etwa fünfzig Meter rechts von uns wurde ein lädierter Strandkorb angespült, der schief im Watt steht. Von gegenüber sendet der Leuchtturm von Hörnum regelmäßige Blinksignale.
    Die riesige leere Fläche vor uns signalisiert vor allem eines: Aufatmen! Das Watt ist unser Pilgerweg, Maria und ich gehen oft hierher, auch im Winter. Nirgendwo sonst können wir allen Ärger so verlässlich auf Null stellen und alles hinter uns lassen: Die Gezeiten gab es vor uns und wird es auch nach uns geben, was jedes Problem auf ein angemessenes Maß relativiert.
    Wir lassen unsere Schuhe am Deich stehen, ziehen die Hosen hoch und gehen los. Die perfekte Kleidung für dieses Wetter wären kurze Hose und Jacke, obwohl das wie ein Widerspruch klingt. Diese sehr spezielle Temperatur in Verbindung mit dem Wind gibt es nur hier. In den Sandriffeln des Meeresbodens sammeln sich kleine Pfützen, die sich bald vergrößern werden. Wir haben auflaufendes Wasser, zu spät dürfen wir nicht zurück. Wir befinden uns nicht im Biotop des Menschen, sondern in dem der Meerestiere: über dem Grund, auf dem wir gehen, schwimmen in ein paar Stunden wieder Fische.
     
    Maria und ich gehen eine Weile stumm nebeneinander her.
    «Grau», brumme ich.
    «Das klart bald auf», kommt von Maria.
    «Morgen soll ja schön werden.»
    «Badewetter.»
    Dann schweigen wir wieder.
    Haben wir nichts Dringenderes zu besprechen als das Wetter? Ich finde es wichtig, über das Wetter zu reden. In keiner Mail und keinem Telefonat lasse ich es aus. Denn egal, was wir tun und denken, das Wetter steht immer über uns, in jedem Moment, Tag und Nacht. Doch bei dem Thema soll es natürlich nicht bleiben. Die Frage ist nur, wer fängt an? Wir halten weiter auf den Hörnumer Leuchtturm zu, er ist die höchste Erhebung weit und breit.
    Nach mehreren hundert Metern räuspern wir uns beide synchron: «Also …»
    Maria und ich lächeln uns kurz an.
    Dann werden wir gleichzeitig wieder ernst: «Ich …!»
    Wir müssen nun beide lachen, obwohl uns überhaupt nicht zum Lachen zumute ist: Bekommen wir das heute noch hin?
     
    «Also was war mit Tobias?», beginne ich. «Wieso muss ich erst von Arne erfahren, dass du mit ihm zusammen warst?»
    Maria schaut Richtung Horizont. «Es hat mich total überfordert, ihn wiederzusehen.»
    «Weil du nicht wusstest, wohin du gehörst?»
    «Unsinn. Aber da war noch so viel Wut über das, was gelaufen war. Das kam mir alles wieder hoch.»
    «Und dann lässt du ihn meine Sachen anziehen? Um zu sehen, wie er darin wirkt? Was war das für ein Spiel?»
    Maria sieht so hilflos aus wie selten. «Das mit den Klamotten ist mir einfach so durchgerutscht, es war ein Reflex, er hatte nasse Sachen, du hattest trockene Sachen, also dachte ich …, es war unüberlegt.»
    «Und was war da auf Haukes Hof zwischen euch?»
    «Ich wusste einfach, wie ich ihn beruhigen kann, wenn er Mist baut.»
    «Ach, ja?»
    «Tobias hat das vollkommen falsch verstanden und mich danach total angebaggert. Da habe ich erst kapiert, dass er den Fall nur meinetwegen an sich gerissen hat. Der hat ernsthaft geglaubt, ich fange wieder etwas mit ihm an.»
    «Und ohne mich, hättest du …?»
    «Niemals! Der hat sie nicht mehr alle. Als ich ihm klar gemacht habe, wo der Hammer hängt, war er tief gekränkt. Deswegen hat er mir jetzt den totalen Krieg erklärt.»
    «Nicht gut für deine Versetzung.»
    «Dass Oma da mit drin hängt, macht es nicht gerade besser. Aber noch ist das letzte Wort nicht gesprochen.»
    «Ich hätte dir von Friederikes DVD erzählen sollen.»
    Maria bleibt stehen und dreht sich zu mir hin. «Finde ich nicht», sagt sie, «ich habe noch einmal darüber nachgedacht, du hast es richtig gemacht.»
    «Waas?»
    «Ich war so viel freier. Sonst hätte ich bei den Ermittlungen immer nur krampfhaft darauf geachtet, dass Oma nicht in die Schusslinie kommt. Gerade das hätte Oma viel eher in Schwierigkeiten gebracht.»
    «
Falls
sie schuldig ist.»
    Maria schaut hinüber zur Nachbarinsel Sylt. «Das wird sich klären.»
    Wir gehen ein paar Schritte schweigend in die Unendlichkeit, die direkt vor uns
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