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Ein Strandkorb für Oma

Ein Strandkorb für Oma

Titel: Ein Strandkorb für Oma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janne Mommsen
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Lichtbrücke am Boden zu dem Gebäude mit den alten Mauerteilen. Genau hier verläuft die Grenze zwischen Geest und Marsch, die architektonisch mit einem Absatz eingearbeitet wurde. Auf der Marschseite beginnt die aktuelle Kunst. Ich renne die Treppe hinunter an einer riesigen Videoinstallation über das Meer in Scheveningen vorbei, reiße eine blaue Tür auf und befinde mich in einem Raum für Kinder, in dem alles in Blau getaucht ist, das Glas der Fensterfront, die Teppiche, Wände und Spielzeug, es gibt keine andere Farbe. An der einen Wand sind Rohre eingelassen, in die Kinder eine Flaschenpost stecken können, damit andere Kinder die mitnehmen. Ich interessiere mich vor allem für den großen Schrank an der Seite, durch den man den Spielbereich betritt.
    Er ist leer.
    Natürlich ist er leer. Was habe ich gedacht? Dass sie es im Kinderbereich miteinander treiben?
    Ich renne zurück durch das Museum. Am Eingang treffe ich wieder auf Friederike.
    «Hast du Maria gesehen?», keuche ich.
    «Nein!», ruft sie, «warte …!»
    Ich renne weiter. Natürlich ist es unhöflich von mir, ich bin Friederike einiges schuldig, aber das hier ist eine echte Notsituation. Erst im Wagen frage ich mich, warum ich Friederike nicht gleich am Eingang nach Maria und Tobias gefragt habe, das wäre viel schneller gegangen.
    Es ist Quatsch, was ich hier veranstalte. Ich wähle Marias Nummer. Die Mailbox.
    Vogelwart Markus klingelt durch, der bei den Seevögeln Tenor singt. Er hat den Polizei- BMW vor der Boldixumer Vogelkoje parken sehen, ist sich aber nicht ganz sicher. Für mich dagegen ist jetzt alles klar. In einer Vogelkoje jagt niemand Bilderdiebe. Hierher geht man nur, wenn man nicht gesehen werden will.
     
    Föhr ist flach und offen, kein Berg verstellt den Blick, auch kein Bauwerk. Nur an ausgesuchten Stellen gibt es kleine bewaldete Inseln mit einer höheren Gestrüpp- und Baumdichte als im Regenwald, die Vogelkojen eben. Selbst mit einer Machete hätte man extreme Schwierigkeiten, eine Schneise hineinzuschlagen. Man kann sich vorstellen, dass in den letzten Jahrhunderten hier geheime Händel getätigt wurden und Piraten ihre Beute vergruben. Doch das ist nur eine Kinder- und Jugendbuchphantasie, die Koje ist schlicht und einfach eine Vogelfalle. Enten und Gänse sind auf ihrem Flug durch die nordfriesische Weite auf geschützte Rastplätze angewiesen. Die Vogelkojen mit ihrer dichten Vegetation erscheinen ihnen als perfekte Oasen. In der Mitte befindet sich ein offener Teich, von dem aus kleine, immer enger werdende Gräben mit Reusen abgehen, die so genannten Pfeifen. Mit Hilfe von gezähmten Lockenten wurden die Wildenten hier hineingelockt. Am Ende wartete der Kojenwart, um ihnen den Hals umzudrehen. Zehntausende Enten im Jahr sollen die Föhrer früher so gefangen haben.
     
    Ich parke den Mini vor dem einzigen Eingang. Der Dienst- BMW von Tobias ist nicht zu sehen, aber das muss nichts heißen. Die Vogelkoje ist von einem Graben umgeben, den Steg haben sie hinter sich hochgezogen. Zum Glück liegt ein Stückchen weiter ein Baumstamm, über den ich hinüberbalanciere; fast rutsche ich dabei ab.
    Als ich drüben bin, hält mich nichts mehr auf. Ich kämpfe mich durch extrem dichtes, dorniges Gestrüpp wie durch eine Wand. Das dichte, dornige Geäst schluckt jeden Schall. Hier ist es absolut windstill, allenfalls streicht hin und wieder ein Hauch oben über die Baumkronen. Es ist wirklich die perfekte Falle.
    Mein Herz fängt an in einem eigenen Takt zu klopfen, unabhängig von meiner Bewegung, es rast, wenn ich stehe und kommt nicht hinterher, wenn ich laufe. Als ob eine fremde Macht die Regie über mich übernommen hätte. Ich bin nur noch Werkzeug.
    Mein Gesicht zerkratzt an einer Dornenhecke – egal. Weiter. Wenn Maria und Tobias hier sind, werde ich sie finden!
    Plötzlich klingelt mein Handy. Jade ist dran. Was will die denn? Das passt gerade überhaupt nicht!
    «Moin, Jade.»
    «Moin, Sönke, du musst mir helfen. Mich verfolgen ein paar Typen auf dem Friedhof, die was von mir wollen. Ich habe mich in der St.-Laurentii-Kirche versteckt.»
    «Was für Typen?», frage ich erschrocken. Doch sie hat schon aufgelegt. «Ich komme», rufe ich, obwohl sie mich nicht mehr hören kann.
    Ich muss jetzt so schnell wie möglich nach Süderende kommen. Als ich mich zurück zum Ausgang kämpfe, wähle ich im Laufen Marias Handynummer und spitze die Ohren, ob es in der Vogelkoje irgendwo

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