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Ein Stueck meines Herzens

Ein Stueck meines Herzens

Titel: Ein Stueck meines Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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ihm geworden.«
    »Ist das Haus von allein abgebrannt?«
    Der alte Mann kniff mit Daumen und Zeigefinger in die Tischkante, als versuchte er, ein Stück abzubrechen. »Ich habe es abgebrannt«, sagte er laut. »Ich bin reingegangen, habe seinen ganzen Müll mitten auf dem Fußboden auf einen Haufen gepackt, einschließlich seiner Schiedsrichterkappe, und habe die Fackel drangehalten, bei Gott. Und daher stammt der kahle Fleck.« Seine Augen schnellten nicht mehr hin und her, und er schien auf einmal seine ganze Energie einzubüßen, als ob bei der Erinnerung daran, wie das Haus in Flammen aufgegangen war, auch sein ganzer Zorn verraucht sei. »Wissen Sie was?« fragte der alte Mann mit glasigem Blick.
    »Nein.«
    »Mrs. Lamb und er haben die Mississippi-Hymne geschrieben.« Der alte Mann leckte sich die Lippen und schmatzte, als könnte er diese Meisterleistung würdigen. »Mrs. Lamb hat die Verse geschrieben und John Carter die Musik. Sie haben es 1938 beim Wettbewerb in Jackson eingeschickt und fünfhundert Dollar und ein Bild von Senator Bilbo und J. K. Vardaman gewonnen, wie sie vorm U.S. Capitol stehen mit den Noten in der Hand. Ich habe ihnen gesagt, sie sollten das Bild von Bilbo zurückschicken, weil dieses kleine Schwein ein Diktator wäre, aber er hat sie beide in seiner Hütte an die Wand gehängt und gesagt, daß er überlegte, was der alte J. K. Vardaman und Bilbo wohl gedacht hätten, wenn sie gewußt hätten, daß er ihre Bilder an der Wand hatte und sich seit dreizehn Jahren vor der Polizei versteckte. Und ich habe gesagt: ›Die beiden verstecken sich schon länger als du.‹ Ich werde Mrs. Lamb bitten, hereinzukommen und Ihnen die Hymne vorzusingen, wenn Sie möchten.«
    »Sie müssen wirklich keine Umstände machen«, sagte er.
    »Nein, nein. Fidelia.« Der alte Mann redete nun mit sanfter Stimme.
    Die Vorraumtür schwang auf, und Mrs. Lamb erschien wieder auf der Schwelle und blickte sie voller Verachtung an. Die Küche war pechschwarz. »Was ist, Mark?« fragte sie.
    »Newel hier würde gern hören, wie du ›The Magnolia State‹ singst, a cappella.« Der alte Mann hatte sein strahlendstes Lächeln aufgesetzt und sich, in der Erwartung, daß diese Idee Erfolg hätte, ganz aufgerichtet.
    »Nun, das werde ich nicht tun«, schnauzte sie zurück. »Du hast eine entzückende Stimme – du kannst es ihm selber vorsingen.« Sie schlenderte auf der anderen Seite des Tisches an den Flaschen vorbei und verschwand im Schlafzimmer.
    »Das ist schon okay«, sagte er.
    Mr. Lamb ließ niedergeschlagen den Kopf hängen. »Ich würde es ja singen, aber ich weiß die Melodie nicht«, sagte er.
    Im Schlafzimmer quietschte der Fußboden. Draußen war es nun stockdunkel, und das Licht des Kronleuchters schimmerte in den dünnen Fenstern.
    »Und was ist mit den fünfhundert Dollar passiert?«
    »Sie hat sie ihm gegeben. Sie hoffte, er würde sie nehmen und nach Kalifornien abhauen und dort ein neues Leben anfangen. Aber der Scheißkerl ist einfach hier in seinem Haus geblieben, und als ich da reingegangen bin, um seine ganzen Sachen auf einen Haufen zu schmeißen, habe ich vier Hundertdollarscheine gefunden. Ich weiß nicht, was er mit dem andern gemacht hat. Alles, was er gegessen hat, hat er selbst geschossen. Ich hab nie gesehen, daß er auch nur einen Nickel ausgegeben hätte. Ich habe die vierhundert an das Blindenhilfswerk nach Jackson geschickt, mit seinem Namen drauf. Was soll’s. Für ihn war’s das Paradies hier unten, und er hätte das nicht gehabt, wenn er nicht diese Indianer umgebracht hätte. Was hätte es denn gebracht, wenn ich ihn nach Parchman geschickt hätte?«
    »Ich verstehe«, sagte er. Er hatte das Gefühl, daß er am liebsten ins Bett gehen würde, aber er wollte den alten Mann, der tiefer und tiefer sank, nicht hängenlassen.
    »Wissen Sie«, sagte Mr. Lamb sanft, und seine Augen glänzten, »ich bin immer auf der Insel umhergestreift, Tag und Nacht, und es war ganz egal, wann ich losging und wohin, immer hab ich ihn gesehen. Entweder war er unten am toten See oder hockte auf der Straße, oder er verschwand gerade zwischen den Bäumen, und ich sah das kleine Grubenlicht, das er oben auf seiner Kappe hatte, wenn er dahinten im Sumachwäldchen herumzappelte und ich weiß nicht was machte. Und es machte mich immer stocksauer, daß ich nirgendwo hingehen konnte, ohne daß er mich, wo ich ging und stand, mit seiner Anwesenheit gequält hätte. Aber nach einer Weile hab ich mich an diesen alten

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