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Ein Stueck meines Herzens

Ein Stueck meines Herzens

Titel: Ein Stueck meines Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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Schwachkopf gewöhnt, und manchmal sah ich ihn unten am Fluß stehen und Ausschau halten und zur Mississippiseite hinüberstarren, als versuchte er, irgendwas zu erkennen, und dann drehte er sich wieder um und rannte zurück, ohne daß er mich gesehen hätte, und lachte wie ein Verrückter. Und bei Gott, als er starb« – der alte Mann schüttelte seinen Kopf, als wäre es ein Rätsel von unergründlicher Komplexität –, »bekam ich plötzlich Angst davor, in den Wald zu gehen, nachdem es dunkel geworden war. Ich wußte, ich würde ihn nicht sehen. Und ich mochte diesen Scheißkerl überhaupt nicht, und ich und Mrs. Lamb haben nächtelang wach gesessen und Komplotte gegen ihn geschmiedet und darüber geredet, wie verrückt er war, daß er diese Frösche aß. Ich muß doch ein Trottel sein, nicht wahr, Newel, wenn ich Angst im Dunkeln habe?« Der alte Mann schielte zu ihm herüber, als hoffte er, zu erfahren, daß er überhaupt kein Trottel sei, und das anschließend auch Mrs. Lamb erklären und ihre Zuneigung zurückgewinnen zu können, bevor sie einschlief.
    »Ich glaube nicht«, sagte er.
    Mr. Lamb schob laut scharrend seinen Stuhl zurück und stand auf. »Und morgen gehen wir angeln?« fragte er, und seine Augen leuchteten wieder.
    »Ja, Sir«, sagte er.
    Mr. Lamb ging schon aus dem Zimmer, bevor er antworten konnte, bewegte sich mit eingeknickten Beinen durch die Korridortüren, ohne sich umzudrehen. »Ich kann angeln und Sie können rudern«, sagte er. Er knipste das Licht im Wohnzimmer aus, wo Mrs. Lamb es angelassen hatte, und verschwand wie sie in der Dunkelheit.
    Er saß am Tisch, der Kronleuchter schimmerte im schäbigen Fenster, das seine eigenen Züge zerdehnt und verzerrt wiedergab, seine Schultern konkav erscheinen ließ, als hätte der Wind sie angeweht und sie auf seine Brust heruntergedrückt. Er konnte den alten Mann im Schlafzimmer schlurfen hören und seine Stimme, die leise und einnehmend war. Das Geschirr war nicht weggetragen worden. Er bückte sich und begann, die Flaschen des alten Mannes aufzusammeln und sie wieder so auf den Tisch zu stellen, wie sie dagestanden hatten. Auf Mr. Lambs Gesicht hatte ein Ausdruck gelegen, als fühlte er gerade, wie der Ballast seines Lebens von ihm abfiel und daß er das nicht mehr aufhalten könnte, und als hätte ihn zum ersten Mal in seinem Leben eine Art Entrücktheit ergriffen und ihm angst gemacht und ihn dazu gebracht, sich die Medikamente zu besorgen, von denen er schon vorher wußte, daß sie ihm nicht helfen würden, weil er wußte, daß er das jetzt durch kein noch so gutes Mittel mehr aufhalten könnte. Weil alles, für das man einsam war, fort war, und alles, wovor man sich fürchtete, einen eingeholt hatte.
    Der alte Mann, dachte er, hatte fünfzig Jahre Vorsprung, und erst jetzt fiel er auseinander und kämpfte um jeden Zentimeter. Er dagegen hatte das Gefühl, daß er einen solchen Kampf nicht führen könnte, weil ihm die verbissene Wut dazu fehlte, denn die Frage, ob er ihn gewinnen oder verlieren würde, stellte sich gar nicht erst. Er kam sich vor wie ein Mann, der ohne Geld und ohne Interesse an irgendwelchen ausgelegten Waren in einem Kaufhaus entlangwanderte, aber mit dem Drang des Unerfahrenen, unbedingt etwas kaufen zu wollen. Und es machte ihm angst. Und tief aus irgendeinem Teil seines Geistes, der immer wachte, kam der dringende Appell, abzuhauen und schleunigst den Zug zu nehmen und zurückzufahren, bevor sein eigenes Leben von ihm wich und er für immer in der Klemme saß.

2
    In dem Jahr, in dem sein Vater starb, fuhr er mit einem Jungen namens Roscoe Sampson, der gerne tanzte, mit einem Wagen nach Vicksburg. In Vicksburg fuhren sie schnell durch die Straßen mit den roten Backsteinhäusern zum Fuß des Hügels, den die Konföderierten monatelang verteidigt hatten, und am Flußufer entlang und an den Schwarzbrennern vorbei und starrten in der Dunkelheit hinaus über den Fluß nach Louisiana, wo die kleinen Pünktchen der Hausbootlampen gemütlich vor dem andern Ufer hin und her schaukelten. Und als sie genug hatten vom Autofahren, sagte Roscoe Sampson, er wollte tanzen, und sie kauften eine Flasche Whiskey und eine Limonade und fuhren zu einem Tanz in einem Freimaurersaal, wo die Lampen hoch oben an der gewölbten Decke hingen und in Rückstrahler eingelassen waren, deren Öffnungen mit Maschendraht abgedeckt waren. Roscoe fand ein Mädchen und zog mit ihr ab und tanzte mit ihr, bis sein Hemdkragen patschnaß und seine Wangen

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