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Ein Stueck meines Herzens

Ein Stueck meines Herzens

Titel: Ein Stueck meines Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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Innern Wandlungen vollzögen, die sie selbst gar nicht bemerkte, die aber bereits ihre Einstellung zum Rest der Welt berichtigt hatten.
    Sie trat zurück, zog die Häkeldecke fester um sich und wirkte dunkel und riesig, so daß er sich nicht mehr sicher war, ob er sie unter anderen Umständen überhaupt als Frau identifiziert hätte. Sie starrte ihn und Newel an, als ob sie einen Augenblick lang nicht mehr wüßte, wer von ihnen welcher war, und ließ dann ihren Blick auf Newel ruhen, der halbnackt im Wind stand.
    »Was ist mit Mark passiert?« fragte sie mit einem Zittern in der Stimme, das, wie er dachte, mehr nach Wut als nach irgend etwas anderem klang. Der Wind blies Zweige und Büschel von den Feldern über den Hof und löste immer mehr ihre Frisur auf.
    »Ich glaube«, sagte Newel, trat von einem Bein auf das andere und hielt seine nackte Brust mit den Armen bedeckt, »er hat sich selbst einen tödlichen Schlag verpaßt.« Er neigte seinen Kopf leicht zum Telefon des alten Mannes hinüber.
    Sie betrachtete den Kasten entrüstet und blickte dann wieder Newel an. »Und Sie waren dabei?« fragte sie.
    »Ja, Ma’am«, sagte Newel. »Im Boot, und, äh, Mr. Lamb hatte den Kasten vorn bei sich und hat einfach aus Versehen zwei Kabelenden angefaßt und ist hintenübergefallen. Ich glaube nicht, daß er noch einen Atemzug machen konnte.« Newel senkte den Kopf und blickte unter den Augenbrauen hervor.
    Mrs. Lamb kniff den Mund zusammen und überdachte das erst einmal eine Weile. »Und er hat nichts mehr gesagt?«
    »Nein, Ma’am«, sagte Newel. »Dazu hat er gar keine Zeit mehr gehabt.« Er schnippte sanft mit den Fingern.
    Die Amberbäume des Waldgürtels, in dem der alte Mann gejagt hatte, hatten sich ineinander verhakt und bogen sich zum Haus hinüber. Äste brachen ab und wurden über den Hof geschleift. Der schweflige Geruch von Regen stieg ihm in die Nase, und er konnte den Donner hören, so laut, als stürzten Häuser ein.
    »Und er hat überhaupt nichts mehr gesagt?«
    »Nein, Ma’am«, sagte Newel und rieb sich die Arme.
    Landrieu legte heimlich das Hemd wieder über Mr. Lambs Gesicht und stopfte es unter seinen Kopf und wich wieder zurück.
    »T. V. A.«, sagte Mrs. Lamb und fixierte ihn, bevor er sich überhaupt wieder gefaßt hatte. »Trag Mr. Lamb hinein, und dann geh und ruf Rupert Knox in Helena an, sag ihm, daß Mr. Lamb plötzlich verschieden ist, und dann komm wieder zu mir.«
    Sie wandte sich ab, hielt inne und betrachtete sie beide, dann die Gin Den, die im Wind knarrte und sich bog. »Ihr Männer könnt jetzt gehen«, sagte sie gebieterisch und war schon auf dem Weg, wickelte ihre Schultern wieder in die Zipfel der Häkeldecke und neigte ihren Kopf in den Sturm.
    Landrieu betrachtete stirnrunzelnd die kalten Überreste von Mr. Lamb und taxierte dann ebenso stirnrunzelnd die Entfernung zwischen sich und dem ersten Dickicht von Trompetenbäumen, das er durchqueren mußte, um an den See zu gelangen, und strengte seinen Verstand an, um herauszufinden, wie er um diese Aufträge herumkommen könnte.
    Landrieu sah hinter Mrs. Lamb her, bis sie im Haus verschwunden war, und richtete dann seine Aufmerksamkeit auf ihn und Newel. »Wie soll ich ihn denn in das Haus kriegen und dann mich übern See bei dem Wetter?« sagte Landrieu, ließ seinen Blick betrübt über das Unwetter schweifen und richtete ihn dann wieder erwartungsvoll auf die beiden.
    »Los, komm«, sagte er, schnappte sich Mr. Lambs Hacken und wartete, daß Landrieu seine Schultern packte. Newel vergrub seine Hände unter dem Rücken des alten Mannes, und dann hoben sie ihn zu dritt heraus und rannten mit ihm über den Hof und die Treppe hoch, gerade, als die ersten Tropfen ins Gras fielen und aufs Dach der Gin Den knallten.
    Sie manövrierten den alten Mann durch die Küche und trugen ihn direkt bis nach hinten durch, wo das Zimmer jetzt dunkel und warm war. Mrs. Lamb hatte sich zur Totenwache in einem Sessel neben dem Himmelbett niedergelassen und über dem Bett ihre Häkeldecke gebreitet, auf dem der alte Mann liegen sollte.
    Als sie ihn richtig hingelegt hatten, gab es einen Augenblick, in dem sie alle nur still im Zimmer standen und auf Mr. Lamb schauten, als wären sie überrascht, ihn in diesem Zustand anzutreffen, und wünschten sich um alles in der Welt, daß er sich erbarmen und aufstehen würde. Er hatte das Gefühl, als würden sie zu dritt das Zimmer mit ihrem Atem und dem Quietschen des Parketts bis in den letzten Winkel

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