Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Stueck meines Herzens

Ein Stueck meines Herzens

Titel: Ein Stueck meines Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
Vom Netzwerk:
Heck des Jeeps, griff hinein und riß das Hemd von Mr. Lambs Kopf weg, als ob er erwartete, daß der alte Mann brüllend hochgeschossen käme und bloß bei einem albernen Scherz mitmachte. Aber in dem Augenblick, als er das Gesicht des alten Mannes erblickte, weiteten sich seine Nasenflügel, und er trat zurück und wurde grau.
    Der Wind wurde immer heftiger. Landrieus Haar rutschte auf die Seite seines Kopfes wie ein Stück Schwamm, und er machte noch einen Schritt zurück und stolperte dabei fast über seine eigenen Füße.
    »Was ist denn mit ihm passiert?« Landrieu lächelte sonderbar, als wäre er sich immer noch nicht ganz sicher, daß alles nicht bloß ein Scherz war. Sein riesiger Fernseher schallte in den Hof hinaus.
    »Er hat ein R-Gespräch geführt«, sagte Newel gereizt, riß Landrieu das Hemd aus der Hand und legte es wieder über das Gesicht des alten Mannes. »Geh rein und sag’s Mrs. Lamb. Wir tragen ihn dann sofort ins Haus.«
    Landrieu musterte sie beide, dann den alten Mann und den schwarzen Kasten, den Newel hinten neben ihn gestellt hatte, und versuchte zu begreifen, wie die Pflichten hier eigentlich genau verteilt wurden. » Wer  soll’s ihr sagen?«
    »Du«, sagte er und wünschte sich, Landrieu würde endlich losziehen. » Wir  können’s ihr ja wohl nicht sagen.«
    Landrieu starrte ihn finster an, zog seinen Overall hoch und lief, ohne noch ein Wort zu verlieren, aufs Haus zu, wobei er mit dem rechten Bein stark hinkte. Auf halber Treppe hielt er inne, blickte zu ihnen zurück und verschwand dann.
    Newel lehnte sich an den Jeep, verschränkte die Arme über seiner nackten Brust und rieb sich die Augen. Seine Haut zog sich im Wind zusammen.
    Über der Landebahn regnete es schon, wie Dampf, der aus dem Wald hochkroch. Dahinter fiel das grünliche Sonnenlicht in einem spitzeren Winkel als zuvor auf die Erde. Die Luft roch stark. Er überlegte, wie lange es wohl dauern würde, bis der Regen das Feld überquert und sie erreicht hätte.
    Er schaute Newel an und dachte dann einen Augenblick lang nach. »Was haben Sie noch über meine Augen gesagt? Irgend etwas Dummes, das weiß ich noch.«
    »Ich hab’s vergessen«, sagte Newel und sah weg.
    »Das haben Sie bestimmt nicht«, sagte er. Er biß auf ein winziges Stück seiner Lippe.
    »Werden Sie langsam nervös?« Newel lächelte ihn an.
    »Leck mich am Arsch«, sagte er, stakste in die Gin Den und ließ die Tür in den Wind aufspringen. Er setzte sich auf die Bettkante und beobachtete Newel durch die offene Tür und wünschte sich, er hätte ihn nie gesehen.
    Newel kam in den Eingang, lehnte sich an den Pfosten und schaute ins Freie. »Ich sagte, Sie sehen aus, als würden Sie sich grämen.« Der Wind hatte begonnen, in den Fugen zu heulen, und das Blech schien sich zu dehnen, als ob es explodieren wollte. »Grämen ist vielleicht nicht das richtige Wort«, sagte Newel und wippte mit seinem Hinterkopf gegen den Kabelkanal. »Als wär’n Sie todunglücklich, ist vielleicht der bessere Ausdruck.«
    »Ich bin überhaupt nicht unglücklich«, sagte er, starrte auf seine Stiefelspitzen und wollte, daß Newel endlich verschwand.
    »Ich weiß nicht«, sagte Newel. »Sie wissen sicher mehr darüber als ich.« Er verließ den Eingang und entfernte sich.
    »Da können Sie verdammt sicher sein«, sagte er laut und versuchte herauszubekommen, was ihn denn bloß todunglücklich machen könnte.
    Landrieu hinkte von der Veranda herunter, die Augen so groß wie Untertassen, erreichte sie atemlos, zerrte an seinem Overall herum und blickte nervös zum Haus hinüber. »Sie kommt«, sagte er und verzog sich sofort auf die andere Seite des Jeeps und stellte sich so hin, daß er gleichzeitig die Tür und den alten Mann im Blick behalten konnte.
    Mrs. Lamb trat in den Wind hinaus, eingehüllt in eine schwarze Häkeldecke, ihre Haare waren zerzaust und ihr Mund zu einem Ausdruck der Wut verzogen. Sie schritt über den Hof, beachtete keinen von ihnen und ging zum Rand des Jeeps und lugte hinein. Sie schaute Mr. Lamb von oben bis unten an, musterte ihn, als wollte sie sich vergewissern, daß seine Körperteile auch alle noch da waren. Als sie sein Gesicht sehen wollte, gab sie Landrieu einen Wink, und er zog das Hemd weg, und die alte Dame betrachtete ihren Mann sogar noch sorgfältiger, ohne ein Wort zu irgendeinem von ihnen zu sagen. Die olivgrüne Farbe schien langsam aus ihrem Gesicht zu weichen, und der Zug um ihren Mund verhärtete sich, als ob sich in ihrem

Weitere Kostenlose Bücher