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Ein Stueck meines Herzens

Ein Stueck meines Herzens

Titel: Ein Stueck meines Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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den alten Mann gelegt hatten. Die Deckenbeleuchtung warf ein körniges Licht. Er öffnete das Badezimmer, inspizierte die Dusche und schob das Fenster hoch, um eine frische Brise reinzulassen, die die moderige Luft aus dem Zimmer vertreiben sollte. Er wusch sich das Gesicht, knipste das Licht aus, stand am Fenster und ließ seine Haut vom Wind trocknen. Auf der Straße fuhren keine Autos mehr. Der Parkplatz war leer. Die Flügel der Enten summten in einem weichen grünlichen Dunstschleier, und irgend jemand hatte das rote »Belegt«-Zeichen angestellt. Er zog sein Hemd aus, legte sich auf die Bettdecke, ließ den Wind über seinen Bauch streichen und seine Beine umspielen.
    Er könnte einen Pontiac mieten, dachte er. Er könnte sich ein großes Zimmer in Manhattan Beach besorgen, schwimmen gehen, sich dann einen Film ansehen und zurückkommen, solange sie noch aufgeregt war, und mit ihr schlafen, als wäre er gar nicht fort gewesen, und es vergessen machen und sagen, daß letztlich alles darauf hinausläuft, daß man eine Wahl trifft. Eines Tages denkt man, man hat nie wirklich eine Wahl getroffen, und dann muß man eine treffen, sogar eine falsche, nur um sich zu vergewissern, daß man’s noch kann.
    Und wenn das einmal überstanden ist, dann kann man zurückkommen und wieder so glücklich mit sich sein, wie man war, bevor man angefangen hatte, alles in Zweifel zu ziehen. Obwohl sie sagen würde, daß das alles gar nicht stimmte, dachte er, denn Frauen binden sich an Männer, wie Männer sich an die Welt binden wollen. Aber wenn er sie dazu bringen konnte, das so zu sehen, konnte er sie immer noch glücklich machen, weil er sie gewählt hatte, nachdem er sie schon  gehabt  hatte, und als es keinen Grund dafür gab, sie auch jetzt noch zu haben, obwohl er genau das nun wollte. Er zündete sich eine Zigarette an, paffte, blies den Rauch an die Decke und sah zu, wie er von der Brise davongetragen wurde. Er konnte die Neontafel mit den Enten draußen summen hören. Beuna umgab immer noch etwas Geheimnisvolles, irgendeine Macht, die ihn anzog und ihn zwang, sie zu ergründen, wie ein Mensch, der einen Ort plündert, an dem er, wie er genau weiß, nichts zu suchen hat, der aber nicht anders kann, weil er vielleicht doch etwas ganz Wichtiges finden könnte. Irgend etwas übte einen Sog auf ihn aus, etwas anderes als das Gestöhne und Gewälze, das er, wenn’s nach ihm ginge, genausogut auch sein lassen konnte und auch  würde , wenn es irgendeine andere Möglichkeit gäbe, ihr so nahe zu kommen. Nur daß sie eben nichts anderes zuließ und nichts anderes wollte, und sie würde um ihres eigenen Vergnügens willen ohne weiteres alles preisgeben, was er gerade bewahren wollte. W. W. kam ihm in den Sinn, und der Gedanke durchzuckte ihn, daß sie ihn und sich selbst abermals mit etwas bestrafen wollte, das sie nicht kriegen konnte. Dann dachte er nicht mehr daran. Seine Augen schlossen sich, und er trieb in der Brise davon, hörte noch im Dämmerschlaf einen schnellen Wagen vorbeizischen und die Straße hinunter verschwinden, und dann ließ er alles los.

4
    In der Heizung begann es um drei Uhr zu ticken und zu klopfen, und als er erwachte, war es schon hell, und ihm war ganz dumpf im Kopf, als ob die Hitze eine Tablette wäre, die er zum Einschlafen genommen hatte. Er zog sich das Hemd an und ging hinaus auf den Parkplatz. Wolken hatten sich vorm Wind aufgetürmt, und der Himmel war plüschig und hatte sich in sich selbst vergraben und eine niedrige wollige und unbewegliche Nebeldecke entstehen lassen. Er dachte, daß es regnen würde.
    Er ging zur Rezeption hinüber, um nach der Uhrzeit zu fragen. Das Gesicht des Mannes am Empfang sah verschrumpelt aus. Seine Haare standen am Hinterkopf ab, und er mußte ein Auge schließen, als könnte er sie nicht beide zusammen auf ihn richten, aber als müßte er dennoch sehen können. Er sagte dem Mann, daß er für eine Weile wegfahren, aber wiederkommen wolle und auch noch eine Nacht bleiben wolle. Im Raum roch es nach heißem Kaffee.
    »Wenn’s letzte Nacht kühl geworden wär, dann hätten Sie nach der Heizung geschrien«, sagte der Mann, fummelte an einem Plastikbecher herum und sah traurig aus.
    »Macht doch nichts«, sagte er.
    »Wenn Sie so ’n Wetter mögen wie jetzt, dann warten Sie noch zehn Minuten«, sagte der Mann und entblößte eine Verwundung, die einen seiner Mundwinkel erweitert hatte und ihn weit aufklaffen ließ, wenn er lächelte. »Heute wird’s nämlich

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