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Ein Stueck meines Herzens

Ein Stueck meines Herzens

Titel: Ein Stueck meines Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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sagte sie, ohne aufzusehen. »Es wird bestimmt kalt. Ich habe angeklopft, aber es hat keiner geantwortet.«
    »Wir haben wohl gedöst«, sagte er und schaute neugierig zum Käfig der Wildkatze hinüber, zögerte aber, hinzugehen.
    Die Waschbären knabberten und leckten an den Fingern des Mädchens herum, nachdem sie den Salat aufgegessen hatten. Der Hahn saß auf einem niedrigen Ast und betrachtete die Waschbären neugierig, als ob sie ihm ein absolutes Rätsel wären.
    »Was ist mit deinem Hasen?« fragte er und stopfte das Mars-Papier in seine Tasche.
    »Was soll mit ihm sein?« fragte sie.
    Er blickte die Käfigreihe hinunter. »Jetzt muß seine Zeit doch gekommen sein?«
    Sie kicherte, zog einen Cellophanbeutel mit Erdnußschalen aus ihrer Hemdtasche und begann, die Waschbären nacheinander mit den Schalen zu füttern. »Seine Zeit ist gekommen und gegangen«, sagte sie.
    Er sah schnell zu dem Mädchen und fühlte sich betrogen. »Du hast doch gesagt, er würde erst nach Sonnenuntergang Hunger kriegen.« Er ging zu Leos Käfig hinüber.
    »Ich kann Leo doch nicht vorschreiben, wann er Hunger haben soll«, sagte sie.
    »Ich habe aber nichts gehört«, sagte er und sah zum Fenster hoch, aus dem die Chintzvorhänge sanft nach draußen wehten.
    »Leo ist dabei mäuschenstill«, sagte sie. »Manchmal macht der Hase ’nen kleinen Piep, wie ein Vogel, aber normalerweise gibt er einfach auf und sagt gar nichts mehr.«
    Leo lag hinten am Draht, riß ein Stück von der Hasenkeule ab und begann, sie bedachtsam zu kauen. Er suchte den Boden ab, aber es war kein Zeichen eines Kampfes im Staub zu sehen. Immerhin könnte der Hase einen Haken geschlagen haben, als Leo beschloß, daß seine Zeit gekommen war. Es gab nur zwei Schleifspuren, auf denen Leo den Hasen zurück in sein eigenes Revier gezerrt hatte, und ihm kam der Gedanke, daß der Hase vielleicht vor lauter Angst gestorben war. Nachdem der Hase schon den ganzen Tag in der Sonne gesessen und in Leos Augen gestarrt hatte, waren die letzten Sekunden vielleicht einfach zu viel für ihn geworden. Und als er sah, wie Leo sich erhob, war es vielleicht schon vorbei mit ihm. Die lange Wartezeit mußte ihn erledigt haben. Leo würgte an einer Sehne, tastete mit seinen Vorderpfoten nach ihr und zerrte an ihr, bis sie riß.
    Er empfand eine furchtbare Qual und sah das Mädchen an, das ihn beobachtete und auf der Erde hockte. Er hatte das Gefühl, daß jemand sie sich mal vornehmen, mit ihr reden und ihr sagen sollte, daß sie etwas falsch machte, jemand, der ihr einen Begriff davon geben würde, wie es eigentlich sein sollte. Aber es ging ihn nichts an, und es hatte auch bestimmt keinen Sinn, wenn er sich jetzt einmischte. Wenn sie unbedingt Hasen an Wildkatzen verfüttern wollte, dann gab es auch keine Möglichkeit, sie davon abzubringen, denn irgend jemand hatte es ihr wohl so beigebracht. Und daran war jetzt nichts mehr zu ändern.
    »Wie spät ist es?« fragte er.
    Sie schaute auf ihre Armbanduhr. »Halb acht. Um acht wird’s dunkel«, sagte sie.
    Er sah, daß der Himmel bis zum Horizont hin stahlgrau geworden war. Eine Fledermaus huschte flatternd durch die Luft und verschwand wieder.
    »Lonnie kommt erst spät wieder«, sagte sie.
    »Tu mir einen Gefallen.« Er strich sich mit den Fingern durchs Haar.
    »Kommt drauf an«, sagte sie.
    »Sag der Frau« – er blickte zum Fenster hoch, hinter dem es dunkel war –, »daß ich wegmußte.«
    Das Mädchen stand auf, staubte ihre Jeans ab und stopfte das Cellophan in ihre Hemdtasche. »Wer bezahlt?« fragte sie.
    Er öffnete sein Portemonnaie und nahm einen Schein heraus.
    »Drei Dollar und siebzehn Cent«, sagte sie und blickte auf die leere Colaflasche, die an seinen Fingern baumelte.
    »Der Rest ist für den Gefallen«, sagte er.
    »Sie ist doch nicht krank, oder?«
    »Erzähl ihr, ich hätte gesagt, daß ich wegmußte. Es ist ihr sowieso egal.«
    »Es paßt ihr bestimmt nicht«, sagte das Mädchen überzeugt und wippte auf den Hacken.
    »Es ist ihr egal.«
    »Sagen  Sie «, sagte das Mädchen und schaute ihn durchdringend an. »Mir können Sie nichts vormachen.«
    »Das weiß ich«, sagte er und wandte sich zum Pickup.
    Das Mädchen starrte ihn kalt an.
    Er konnte die letzten Goldfäden in ihrem Haar sehen. Er warf einen Blick zum Fenster hinauf, sah, wie sich die Vorhänge im Luftzug blähten, und ging auf den Pickup zu. Er warf die Flasche in den Ölkanister neben den Pumpen, und das Mädchen schaute ihm eine Zeitlang nach

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