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Ein Stueck meines Herzens

Ein Stueck meines Herzens

Titel: Ein Stueck meines Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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sich wieder um, als habe er gesehen, was er erwartet hatte. Die Schwarzen begannen durch die Türen hinauszuschlurfen, und ihre Stimmen wurden leiser und verklangen schließlich ganz, bis nur noch das Geräusch eines Fernschreibers am Ende der Arkaden zu hören war.
    Er ging zu dem Kind zurück und schaute es an. »Wo ist die Tasche?« Er starrte die lange Halle hinunter. Der Junge betrachtete ihn, als wäre er unsichtbar, und spitzte wieder seinen Mund. »Wer hat sie genommen?« fragte er und blickte dem Jungen grollend ins Gesicht, bis er die kleinen bernsteinfarbenen Flecken in seinen schläfrigen Augen sehen konnte.
    Der kleine Junge lächelte, und ein rosa Kaugummistreifen erschien zwischen seinen Zähnen, den er wie den Klöppel einer unsichtbaren Glocke baumeln ließ. »Hat die Polizei genommen«, sagte er.
    Er suchte das weite Mittelschiff nach dem verräterischen Funkeln einer Polizeimedaille im Schatten ab, aber bis auf einen Gepäckträger, der neben den Ausgangstüren eine Zigarette rauchte, war niemand zu sehen. Am Ende des Wartesaals begann ein Radio zu spielen, und er schaute zurück, wo er durchs Glas hindurch die verregneten Scheinwerferlichter der Taxis sehen konnte, die auf der Suche nach Fahrgästen unter das Vordach fuhren. Er war verzweifelt.
    »Hast du nicht gesehen, wo zum Teufel er hingegangen ist?«
    »Nee«, sagte der Junge, rollte den Kaugummi zwischen seinen Handflächen zusammen und steckte es wieder in den Mund.
    Er stolperte durch die leeren Arkaden, ließ das Kind zurück und platzte mit leeren Händen durch die Schwingtüren. Die Schwarzen wurden alle naß, schrien und winkten mit Taschentüchern dem dampfenden Zug hinterher. Er mied sie, hetzte den Bahnsteig hinunter und sprang die silbrigen Treppenstufen zur Vorhalle hoch. Er warf einen vorwurfsvollen Blick auf die Schwarzen, die weinend im Regen standen. Keiner von ihnen hatte seine Tasche. Sie schoben sich langsam in den Bahnhof zurück, und er schaute ihnen nach, wie sie in der Halle kleiner wurden, bis sie verschwunden waren.

2
    Er saß trübsinnig in seinem Sitz und sah die Stadt im Regen vorübergleiten, die alten Viertel, die er bei jeder Bahnfahrt uptown sah, wenn er zu Beebe fuhr. Auf der Höhe der 65. Straße schaukelte der Waggon heftig und wurde schneller. Im Vordergrund erkannte er den Umriß einer Baumreihe und weit dahinter den dunklen Midway mit Scheinwerferlichtern, die im Regen am Hyde Park verschwammen.
    Der Zug hielt an der 103. Straße, wo niemand ein- oder ausstieg, zischte, hob sich und verschwand aus dem lachsfarbenen Licht und überließ die Stadt ihrer Unterwasser-Dunkelheit.
    »Die Stadt steht hier, um unsere Probleme zu lösen«, hatte Beebe gesagt und mit ihren Fingern im Sonnenstrahl gespielt.
    »Mein Vater hätte dir zugestimmt«, sagte er.
    »Natürlich.« Sie lächelte und fuhr mit ihrem Finger wieder an der eisigen Linie zwischen Schatten und Licht entlang. »Sie hat uns so schön wieder zusammengebracht. Ich bin sicher, daß ihm das gefallen hätte.«
    Er rutschte in die dunkle Hälfte ihres Bettes hinüber, schaute aus dem Fenster hinaus in die Seitenstraße und dachte an gar nichts.
    »Du würdest mir heute besser gefallen, wenn du nicht so bockig wärst«, sagte Beebe.
    »Ich kenne mich in der Rechtsprechung aus«, sagte er. »Ich habe keine Zeit für das Komitee für Soziale Gerechtigkeit oder was immer du da unterstützt.«
    »Dein Fehler«, sagte sie und hauchte gleichgültig gegen die kalte Scheibe. »Ich habe mir Jane Jacobs angehört. Sie findet, daß wir alle gut daran täten, in den Städten zu leben.«
    »Du solltest es mal mit dem Süden versuchen, bevor du dich entscheidest«, sagte er.
    »Ich bin ziemlich oft hier«, sagte sie und kratzte mit ihrem Fingernagel auf der beschlagenen Scheibe herum. »Ich komme sehr gut mit den Negern aus.«
    Er schwieg.
    »Was hat dein Vater noch mal gemacht?« fragte sie.
    »Stärke verkauft.«
    »Wurden viele Witze über Stärkehändler und ihre starken Ständer gemacht?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Ich wollte mal ein etwas amüsanteres Thema anschlagen.«
    Sie war einen Augenblick still und sagte dann: »Ein Mann hat sich heute morgen am Flughafen vor mir entblößt.«
    »Warum?«
    »Woher soll ich das wissen? Er war ein Taxifahrer an der Haltestelle vor Pan Am. Ich hab mich zu ihm reingelehnt, um ihm zu sagen, daß ich Richtung downtown wollte, und da lag sein Schwanz auf seinem Bein.«
    »Hat er dich mitgenommen?«
    »Natürlich nicht.«
    »Hast du

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