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Ein Stueck meines Herzens

Ein Stueck meines Herzens

Titel: Ein Stueck meines Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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irgendwas zu ihm gesagt?«
    »Ich hab gesagt: ›Das sieht ja aus wie ein Penis, nur kleiner.‹ Er las gerade  Time , hat sie schnell drübergelegt und ist weggefahren. Es war ihm bestimmt peinlich.«
    »Die Stadt hat eben seine Probleme noch nicht gelöst. Oder überhäuft sie dich bloß mit Aufmerksamkeiten?«
    »Du bist ein Zyniker, nicht?« Sie sah verärgert aus. »Warum hast du heute eigentlich angefangen zu hinken? Das war vielleicht merkwürdig. Wen hast du bloß gesehen?«
    »Niemanden.« Er schaute die Gasse hinauf und preßte seine Nase an das Glas, bis die Nasenspitze taub wurde.
    »Warum hast du dann angefangen zu hinken?«
    »So was ruft bei manchen Leuten Mitleid hervor.«
    Sie reckte den Hals und versuchte zu erkennen, wohin er im schwächer werdenden Licht schaute. »Das glaub ich dir leider nicht«, sagte sie.
    »Also gut, verdammt noch mal«, sagte er aufgebracht. »Als ich aus dem A&P kam, hab ich einen Mann gesehen, der genauso aussah wie ich und seine beschissene  AWOL -Tasche zum Waschsalon trug.«
    »Na und?«
    »Es hat mir Angst eingejagt. Er sah so aus, als wäre er viel besser drauf als ich. Er wirkte viel strammer, und seine Augen waren nicht so verschwommen. Ich habe extra hingeguckt.«
    »Hast du mit ihm geredet?«
    »Nein, verdammt noch mal. Was soll ich denn sagen? Was ist, wenn er nicht findet, daß er so aussieht wie ich?«
    »Ich verstehe aber nicht, warum du deshalb meinst, du müßtest anfangen zu hinken?«
    »Weil ich diese Scheiß-Doppelgänger nicht ausstehen kann.« Er stakte über den Fußboden und schlug gegen die Heizungssprosse, die dumpf erklang. »Dieses beschissene Ding ist keinen Pfifferling wert.«
    Sie ließ ihren Kopf aufs Fensterbrett zurücksinken, und im Licht zeichnete sich der Umriß ihres Gesichts vor dem Rahmen ab. »Du kannst Ambiguitäten wohl überhaupt nicht ertragen«, sagte sie, rieb sich mit einem Finger sanft ihre Nase und schaute ihm zu, wie er sich im Schatten herumdrückte.
    »Was soll denn das nun wieder heißen?«
    »Daß man mit etwas weitermacht, auch wenn nichts klar überschaubar ist«, sagte sie. »Wissenschaftler schöpfen daraus ihr geistiges Stehvermögen. Ich finde, es eignet sich auch gut für andere Leute, zum Beispiel für dich.«
    »Wieso, was zum Teufel mache ich denn?« fragte er.
    »Du dramatisierst Dinge, wenn sie auch nur ein bißchen verwirrend sind.« Sie lächelte ihn fröhlich an.
    »Zum Beispiel?« fragte er.
    »Zum Beispiel, wenn du etwas so schrecklich findest, daß du plötzlich hinken mußt, um allen zu zeigen, daß es mit dir bergab geht.«
    »Also jetzt schau mich mal an, verdammt noch mal.« Er wedelte mit ausgebreiteten Armen und stellte seinen Oberkörper im schwachen Licht zur Schau. »Ich sehe doch prometheisch aus«, sagte er, schielte auf seine Brust und fragte sich, ob sie wohl das gleiche sehe wie er.
    »Ich kann dich sehr gut sehen«, sagte sie.
    »Nun?«
    »Nun, was?«
    »Was soll mir noch mal fehlen?«
    »Die Fähigkeit, Ambiguitäten zu ertragen.« Sie lächelte.
    Er hielt seine Arme ausgestreckt wie ein riesiger Vogel, der in der Finsternis schwebt. »Ich glaube, alles, was ich kenne, ist zweideutig«, sagte er. »Eben deswegen breche ich jede Millisekunde einen Kilometer auseinander, was dir auffallen müßte, wenn deine Konzentrationsspanne groß genug wäre.«
    »Das glaube ich nicht«, sagte sie. »Du hast übrigens Schuppen in deinen Augenbrauen.« Sie warf ihm einen mißbilligenden Blick zu und begann, ihre Nägel zu untersuchen.
    Er kam aus dem Dunkel hervor, verschwand wieder darin, und der Fußboden quietschte.
    »Du frierst doch bestimmt ohne Kleider«, sagte sie. »Komm, kriech bei mir mit rein. Ich mach dich schön warm.« Sie lächelte, hob den Arm und zeigte ihm den Platz, den er einnehmen konnte.
    Er blickte stirnrunzelnd aus dem Schatten hervor. »Was soll ich also tun mit dem Kram, den ich nicht aushalten kann?«
    »Laß die Dinge sich von allein entwickeln«, sagte sie leise.
    »Wie du«, sagte er.
    »Ein paar Dinge habe ich geklärt«, sagte sie. Sie drehte sich auf den Rücken, und ihre Brüste wurden schlaff. »Wenn es so wunderbar da unten wäre, würde ich doch da leben, oder nicht?«
    »Wenn was wunderbar wäre?«
    »Mississippi, dieser ganze Schwachsinn.«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Natürlich würde ich das«, sagte sie. »Ich lebe gern da, wo’s schön ist. Ich bin launenhaft und etwas übermütig. Ich mag nichts Häßliches denken. Du bist doch stolz darauf,  hier  zu

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