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Ein Stueck meines Herzens

Ein Stueck meines Herzens

Titel: Ein Stueck meines Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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leben, das ist ja nun völlig offenkundig.«
    »Natürlich«, sagte er. »Ich habe mein ganzes Leben darauf gewartet, in diesem beschissenen Aussätzigenspital zu leben. Ich finde es ganz wunderbar hier mit den Huren und Perversos und den Morden und dem Schmutz.«
    »Kommt es dir manchmal so vor, als würdest du dich klammheimlich an deiner Vergangenheit rächen, wenn du mit mir schläfst?«
    »Ich hab schon mal so was gedacht«, sagte er. »Aber dafür ist es nicht gut genug.«
    »Ich wollte nur Spaß machen«, sagte sie. »Hat man so was schon mal gehört?«
    »Von irgendwoher müssen die Leidenschaften ja kommen«, sagte er.
    »Und wo kommen meine dann her?«
    »Das weiß ich doch nicht«, sagte er.
    »Ich habe für heute abend einen Flug nach Amsterdam ergattert. Würdest du dich freuen, wenn ich dir einen Examens-Anzug mitbrächte? Ich kann Leinen sehr billig einkaufen.«
    »Ich nehme nicht dran teil«, sagte er.
    »Aber du brauchst einen Anzug. Friert dir dein Hintern nicht langsam ab?«
    »Doch.«
    »Dann komm und wärm dich auf.« Sie schlug die Pferdedecke zurück, und er konnte ihre Schenkel im Dunkel sehen.
    »Ich mache gerade einen Test«, sagte er.
    »Und auf was testest du dich, Liebling?«
    »Auf Ambiguität. Ich teste meine Fähigkeit, sie zu ertragen.«
    »Schön.« Sie war still. »Aber woher willst du wissen, daß du ihn bestanden hast?« Sie verschränkte die Hände hinter ihrem Kopf und lag so da, daß die Ellipsen ihrer Unterarme in der Dunkelheit schimmerten.
    »Das ist auch eine gute Frage.«
    »Ich finde aber wirklich nicht, daß es wichtig ist, oder?«
    »Doch.«
    »Also ich finde das nicht. Es ist mir scheißegal. Du bist ein so ernster Junge, Newel, und dabei bist du erst achtundzwanzig.« Sie griff hinter sich und berührte mit den Fingern das kühle Fensterglas, und ihr Körper leuchtete im fahlen Mondlicht hell auf.

3
    1947 hatten sie einen schwarzen Mercury gehabt, und sein Vater hatte einen Herzinfarkt und konnte in den Sommermonaten seine Kunden nicht allein besuchen. Also wurden sie von seiner Mutter gefahren. Und in dem schwarzen heißen Sommer waren sie nach Louisiana hineingefahren und verbrachten einen Julitag auf der anderen Seite des Flusses, in Vidalia, ihren ersten Tag. Und als sie sich bis Ville Platte vorgearbeitet hatten, ging der Mercury kaputt, und sie hatten im Menges Hotel gewohnt, wo es in den Zimmern Deckenventilatoren und Libellen gab. Er erinnerte sich daran, wie er um die Mittagszeit aus dem Hotel in die stille Straße hinausgegangen und mit seinem Vater zum Verkaufsbüro spaziert war, an eine Frau hinter der verglasten Zahlstelle in einem Kleid mit aufgenähten Perlen, mit roten Lippen und kurzem Haar und daran, wie er wieder zurück in ihr Zimmer gegangen war und seinen Vater an der Hand gehalten hatte. Die Decke war mit einer fettigen Schicht überzogen, die aus der unbewegten Luft ausfiel, und darüber mit einer weiteren Schicht von flaumigem Staub wie ein Platanenblatt. Und in den neun Tagen, die sie in Ville Platte verbrachten, hatte er die ganze Zeit Angst vor den Libellen und glaubte, sie würden ihn stechen und ihn töten, obwohl seine Mutter ihm immer wieder sagte, daß sie es nicht tun würden.

4
    Sie lag an die Fensterwand gelehnt und netzte mit ihren Lippen die Haare auf seinem Bauch.
    »Du fühlst dich sehr wohl in deiner Haut«, sagte er.
    »Natürlich«, summte sie. »Bist du nicht auch zufrieden?« Sie drehte sich auf den Bauch und lächelte ihn an.
    Er schwieg.
    »Das genügt schon«, sagte sie sanft und untersuchte seinen Bauch noch genauer, als hätte sie etwas Unnatürliches entdeckt. »Es würde dir nicht schaden, zufrieden zu sein. Ich bestrafe mich nicht mit Sachen, an die ich mich nicht erinnern kann.«
    »Was machst du dafür?«
    »Ich lasse mir einfach nicht die Stimmung verderben.« Sie lächelte wieder über den Rand seines Bauchs hinweg. »Du hast die Brust eines Ladearbeiters, Newel. Wie hast du es nur geschafft, daß sie so breit geworden ist? Ich hab sie schon von weitem bewundert, als wir noch Kinder waren.« Sie führte ihren Finger an seinen Rippen hoch, bis er eine Gänsehaut bekam.
    »Mir ist kalt«, sagte er gereizt.
    »Natürlich ist dir kalt.« Sie lachte laut auf. »Du hast ja nicht mal ein bißchen Schmutz am Körper. Komm unter die Decke.«
    »Ich möchte dir eine Geschichte erzählen.«
    »Wenn du dich aufwärmst. Du brauchst ein bißchen was Schmutziges. Tut mir leid, ich mache solche Witze nicht besonders

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