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Ein Stueck meines Herzens

Ein Stueck meines Herzens

Titel: Ein Stueck meines Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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ihrer Sonnenblende. »Fahren Sie in die Stadt?« fragte sie.
    »Hoff ich doch«, sagte er. »Wenn ich nicht irgendwo Mist gebaut habe.«
    Sie schaute ihn freundlich an, als ob sie genau wüßte, was er meinte. »Junger Mann« – sie lächelte –, »wir machen Fehler, aber wir sind immer noch da.«
    Im Laden waren nur noch ihre Atemgeräusche zu hören, deren Rhythmen nicht übereinstimmten. Sie warteten darauf, daß ihre Worte irgend etwas auslösten oder verklangen.
    »Ja, Ma’am«, sagte er. »Ich hoffe bloß, daß ich morgen wieder hier bin.«
    Sie griff nach einem Brief und untersuchte ihn oberflächlich, und er trat in den Abend hinaus und schaute die schnurgerade River Road hoch, die nach Helena führte. Die Lichter über der Stadt bildeten einen schäbigen Schmutzfleck am Himmel.

5
    Das Postamt war ein braungelbes Backsteingebäude gegenüber dem Rangierbahnhof. Er fuhr den ungepflasterten Teil der Straße am Rangierbahnhof hoch und an der Stelle vorbei, wo das Haus von Beunas Vater gestanden hatte, und entdeckte, daß das Haus nicht mehr stand und das Grundstück nun ein Lager für Hydranten war. Die Hydranten lagerten, in alle denkbaren Richtungen geneigt, in einem Zyklonschuppen, auf einem kegelförmigen Haufen in einer Ecke hinten am Zaun. Dahinter standen einige Seifenbäume, an die er sich noch erinnern konnte. Die Stadt lag hinter dem Grundstück, dem Highway zugewandt, so daß sich das Postamt am dunklen Ackerrand der Stadt befand, beinahe in den Bohnenfeldern.
    Er überquerte die Schienen am Haus des Rangiermeisters, in dem Licht hinter den Jalousien brannte. Er spürte Diesel auf seinen Lippen und in der Luft. Er drehte wieder, bis er parallel aufs Postamt zufuhr, und hatte das Gefühl, als hätte er Hummeln im Bauch.
    Er hielt am Straßenrand und versuchte nachzudenken. Er wollte sich zusammenreißen, damit er sich, wenn er sie zu Gesicht bekäme, so zusammengeballt hatte, daß er sich völlig in der Hand hatte und kein Körperteil außer Kontrolle war.
    Er wurde ruhig, starrte hinunter in den Rangierbahnhof und betrachtete die harten kleinen roten und grünen Rampenlichter und die Plattformwaggons, die mit Pinienholz beladen waren, horchte auf die Zugmaschinen, die sich im Dunkeln hoben, atmete gleichmäßig und konzentrierte sich bloß noch auf einen Gedanken.
    Im Haus des Rangiermeisters, wo der Rangiermeister gerade die Memphiszeitung las, gab es ein winziges Büro mit bemalten Fenstern und einer großen schwarzen Tafel mit roten, gelben und grünen Lämpchen, die vor einem Mann mit Strohhut und durchbrochenem Baumwollhemd aufleuchteten und aufblitzten. Er drückte Knöpfe, drehte Schalter und redete mit Zügen draußen auf der Strecke, indem er mit langsamer, schleppender Stimme in ein Funkgerät sprach. Sieben Stunden hintereinander saß er ungestört in dem Raum und dirigierte jeden Zug und jedes Zugpersonal auf den Gleisen zwischen Memphis und Lake Village, und es hing allein von ihm ab, daß kein Zug in den anderen fuhr und daß der eine Personenzug, der die Strecke benutzte, nicht mit hundertzwanzig Stundenkilometern auf ein Abstellgleis raste und wie eine Reihe Mülleimer zusammenkrachte. Spät am Abend war er in den Raum geschlüpft und hatte dem Mann, der Wheeler hieß, zugesehen, ihn und sein weißes Hemd gemustert, das sich in den winzigen Lichtreflexen rosa und hellgrün färbte, und sich erstaunt gefragt, wie Wheeler es schaffte, wenn die Lichter schneller aufleuchteten und aufblitzten und die Züge begannen, mit schrecklicher Geschwindigkeit aufeinander zuzurasen und Schaffner Drohungen durchs Funkgerät heulten, immer noch mit der gleichen sanften, bäuerlichen Stimme mit ihnen zu reden. Er richtete bloß seine Hutkrempe, drehte an einem Schalter, etwa um ein Gleis zu öffnen, das ein grünes Lämpchen auf der Tafel war, und sagte niemals ein Wort zu demjenigen, der hinter ihm saß – denn es war immer jemand dort, der völlig erstaunt zuschaute –, und ließ sich nie ablenken. Er hatte lange dagesessen und war verzweifelt bei der Vorstellung, allein im Dunkeln mit all den Zügen, Schaltern, Ingenieuren, Schaffnern und Fahrgästen da zu sitzen, die einen durch ein winziges Lämpchen nach dem anderen forderten, bis der Druck zu groß wurde und man eines Nachts in Versuchung geriet, alles ineinanderlaufen zu lassen, an jedem Schalter zu drehen und zuzuschauen, wie Lichter in einer langsamen Folge von Blinken und Blitzen zusammenflossen, bis sie ununterscheidbar waren und es

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