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Ein Stueck meines Herzens

Ein Stueck meines Herzens

Titel: Ein Stueck meines Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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habe doch gesagt, daß ich mein Testament schon gemacht hab. Sie wollen doch bloß schon mal ’nen kleinen Vorschuß rausschlagen, oder, Newel?«
    »Ich bin kein Rechtsanwalt«, sagte er.
    »Na klar sind Sie kein Rechtsanwalt«, sagte der alte Mann und schlug mit der Faust auf den Tisch, und seine Stimme wurde mit jedem Wort lauter, so daß die feinen Äderchen in seinem Gesicht anschwollen und sich blau färbten. »Aber das will ich Ihnen mal sagen. Ich werde da sein, wenn diese Kanaken aus dem Flugzeug steigen, und ich brauche auch keinen bezahlten Kasper, der meine Angelegenheiten nur vernebelt.«
    »Dann ist ja gut«, sagte er, stand auf und ging langsam zur Küche hinüber.
    Mr. Lamb grinste ihn boshaft an. »Das verstehen Sie nicht, oder, Newel?« sagte er. »Warum es mir nicht paßt, daß diese Itaker mit ihren Flugzeugen hier runterkommen und auf meinem Land rumschnüffeln, auch wenn es ihnen gehört?«
    »Ich glaube, das versteh ich schon«, sagte er und blieb an der Tür zum Vorraum stehen.
    »Nein, das verstehen Sie nicht!« schrie der alte Mann. »Es ist entwürdigend, ihre Anwesenheit auf dieser Insel erdulden zu müssen, als wäre das hier ein Stadtteil von Detroit oder einer dieser anderen gottverfluchten Städte. Es ist entwürdigend, das erdulden zu müssen. Das ist etwas, das sie euch nicht mehr beibringen. Sie wissen überhaupt nichts von Würde. Sie haben doch keine Ahnung!«
    »Ich hatte nur versucht, über Prioritäten zu reden«, sagte er leise. »Aber vielleicht haben Sie recht.«
    »Gottverfluchte Prioritäten«, brüllte Mr. Lamb, hieb mit beiden Fäusten auf das Wachstuch und starrte ihn außer sich vor Wut an. »Ich scheiße auf Prioritäten und diesen ganzen Quatsch. Wir reden hier über Würde und über Mrs. Lambs Hochzeitsgeschenk, zum Teufel!«
    »Ich habe Sie mißverstanden«, sagte er und verschwand durch die Tür.
    »Das nehm ich an«, brüllte der alte Mann. »Das nehm ich an.«

2
    Als er zwölf war, war er mit seinem Vater und seiner Mutter nach Biloxi gefahren, und sie hatten am Strand in einem großen weißen Hotel gewohnt, das »Buena Vista« hieß und tiefe schattige Veranden besaß und Reihen weißer Cottages hinter dem Hotel unter den Bananenbäumen. Sein Vater ging tagsüber weg und kam abends wieder, bis zum Samstag, als sie einen Mann besuchten, den sein Vater aus New Orleans kannte und der Peewee McMorris hieß und auf Öltürmen gearbeitet hatte, bis einmal ein anderer Mann von der Spitze des Ölturms aus Versehen eine Orange auf seinen Kopf hatte fallen lassen. Und danach hatte er nie wieder gearbeitet und hatte ein steifes linkes Bein und lag immer nur im Bett in seiner schäbigen rosa Hütte in den Palmettos hinter der Keesler Luftwaffenbasis in der Nähe des Militärkrankenhauses. Seine Frau hieß Josephine, und als sie ankamen, bot sie allen große Drinks an und nahm sie mit zu Peewee, der auf einem Liegestuhl im Garten saß und Kunstgrasfäden von seinem Sitz pflückte, mit denen ein Pfirsichkorb ausgelegt war, der neben ihm stand. Peewee war ein kleiner Mann mit knochigen Fingern und einem langgezogenen italienischen Kiefer und war sehr froh über einen Drink am heißen Nachmittag. Nachdem er seinen ersten großen Schluck Whiskey genommen hatte, lächelte er ihn an und fragte, ob er einen Trick sehen wollte. Und als er sagte, daß er das gern wollte, stemmte Peewee sich von der Chaiselongue hoch und legte seine Hand auf die Schulter des Jungen und ging steifbeinig zur Hausecke, wo Josephine Azaleen und Hortensien gepflanzt hatte, um den Wasserzähler zu verstecken. Im größten Azaleenbusch, der in leuchtend rosa Blättern blühte, fand Peewee ein großes Wespennest und zeigte es ihm. Er hatte Angst vor Wespen, und wenn das der Trick sein sollte, dann mochte er ihn nicht, und er trat zurück. Peewee lachte, und als die letzte Wespe auf dem breiten krustigen Nest gelandet war und er keine mehr irgendwo herumfliegen sah, steckte er seine Hand vorsichtig in das Nest und ließ die Wespen sich darauf niederlassen und auf seiner höckrigen Haut herumkrabbeln und ihre Stacheln an seiner Haut erproben, bis es so aussah, als würden sie bis auf den Knochen durchstoßen. Und Peewee, der nicht zuckte, lachte und lachte und sagte, daß er, seit dieser Mann diese Orange auf seinen Kopf hatte fallen lassen, in vielen Körperteilen keinen Schmerz mehr fühlen konnte und daß seine Hand einer der Körperteile war und daß eine Wespe ihn stechen konnte, bis er blau im Gesicht

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