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Ein Stueck meines Herzens

Ein Stueck meines Herzens

Titel: Ein Stueck meines Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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sagte sie und starrte versonnen auf den Türsturz über dem Durchgang zum Korridor, als werde die Jahreszeit dort von einem Fries dargestellt, »ist der Fluß über die Ufer getreten, und Mark und ich mußten auf die Veranda gehen und die Mokassinschlangen, wenn sie aus dem Wasser hochkrochen, mit Hacken totschlagen. Wir hatten Angst, daß das ganze Haus weggerissen würde und wir ertrinken müßten. Ich war schwanger mit Lydia, und Mark hatte Angst, daß ihr irgend etwas Furchtbares zustoßen könnte, weil ich diese ganzen Schlangen totschlagen mußte. Aber ich sagte, ich hätte keine Angst vor Schlangen, und solange ich nicht gebissen würde, könnte dem Baby nichts passieren, und das schien Mark zu genügen, der einfach nur wollte, daß ihm jemand sagte, er hätte unrecht. Und wie sich dann herausstellte, hatte Lydia niemals Angst vor Schlangen, obwohl sie aus irgendeinem albernen Grund schreckliche Angst vor dem Fluß hatte.«
    »Ich glaub, das kann ich verstehen«, sagte er grimmig.
    Sie schaute ihn neugierig an und legte ihre Hände auf den Rand des Wachstuchs. »Wir sind hier sehr vom Wasserstand abhängig«, sagte sie gewissenhaft. »Viel mehr als von der Uhr und dem Kalender. Obwohl sich der Fluß nicht mehr so oft verändert, seit sie den T. V. A. fertiggebaut haben und vom Tennessee nichts mehr dazufließt.«
    Landrieu steckte seinen Kopf um die Ecke, warf ihnen einen merkwürdigen Blick zu und verschwand.
    »Mark hat das Haus auf Betonpfeiler gestellt, damit wir uns keine Sorgen zu machen brauchten, daß wir überflutet und weggespült werden, aber der Boden ist porös und sehr feucht. Es würde mich nicht überraschen, wenn die Pfeiler langsam verrotten, fünfeinhalb Meter unter der Erde, mit dem breiten Ende nach unten.«
    Er hob den Blick und sah der alten Frau ins glänzende Gesicht. Ihre Augen schienen größer und dunkler geworden zu sein und blickten eindringlich in sein Gesicht.
    Er wollte ihr eine persönliche Geste der Anerkennung und Ergebenheit erweisen, aber die alte Dame stand ganz unerwartet auf.
    »Es ist doch hedonistisch von uns, zu meinen, wir sollten die Welt damit verblüffen, daß wir ewig auf ihr bleiben – so ist es doch, meinen Sie nicht?« Ihr Lächeln wurde immer offener.
    »Doch, Ma’am«, flüsterte er.
    »Gut«, sagte sie und ging geradewegs durch die Korridortür, blieb für einen Augenblick am Fenster stehen, um ihr Radio zu inspizieren, und verschwand dann im Dunkeln, wo Mr. Lamb schlief.

6
    Er ging durch die Küche und die Treppe hinunter und an Landrieu vorbei, der breitbeinig auf einer Holzkiste saß und genüßlich eine Zigarette rauchte. Der Himmel sah immer noch so aus, als würde das Wetter umschlagen und es anfangen zu regnen. Sehr weit oben war der Mond zu sehen, aber wie Schorfstückchen wirkende Fetzen von Aschenwolken glitten daran vorbei und wurden immer dichter, als hätten sie sich aus einer großen, lichtlosen Gruft drüben in Arkansas gelöst.
    Elinor streckte sich unter der Treppe, und ihr Schwanz klatschte an die Stufen, und sie trottete in die Dunkelheit davon, wo er ihr Halsband in der Stille klimpern hörte.
    Er berührte eine Betonsäule in seiner Nähe und versetzte dem Rumpf einen dumpfen, echolosen Schlag. Er schlurfte ins trübe Dunkel, wo die Luft kühler war und gleichzeitig nach Limonen roch. Er konnte mehrere an den Querbalken aufgereihte Angelruten erkennen, einige zerbrochene und rostige Gartenwerkzeuge und irgend etwas, das die halbe Länge des Balkenbretts einnahm und in der öligen Dunkelheit wie kleine dreizackige Pflanzenheber aussah, sich beim zweiten Blick aber als kleine knorpelige Vogelkrallen entpuppte, Truthahnfüße, nahm er an, vielleicht ein gutes Hundert davon und mit Dachzapfen ans Holz genagelt, die im Dunkeln kaum zu erkennen waren. Er langte durch die Spinnweben hindurch und fummelte an einer Kralle herum, so daß sie gegen den Sparren schlug und in seiner Hand abzubrechen drohte. Es schien völlig einleuchtend, daß diese Füße hier waren, ans Haus gepflockt, und darauf warteten, daß ihre Leichname kamen und sie wieder abpflückten und schnell in den Wald zurückhuschten. Er konnte diese Totenbeschwörung nicht ganz begreifen, aber die Idee gefiel ihm, und er fühlte sich allein schon dadurch irgendwie bestärkt, daß er sich im Bereich des Zaubers aufhielt.
    Er hörte, wie Landrieu, ohne ihn zu bemerken, die Treppe herunterkam und über den feuchten Hof zu seinem Haus ging, wobei die glimmende Zigarette seinen Weg

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