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Ein Stueck meines Herzens

Ein Stueck meines Herzens

Titel: Ein Stueck meines Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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hinaus geriet und um sich schlug, um nicht unterzugehen. Er hielt sich am Baum fest, während sich das kalte Wasser um seine Taille schlang und an seinem Bauch entlanglief und hartnäckig an ihm zerrte. Er atmete aus und schnappte wieder nach Luft und hielt den Atem an und schmeckte das süße, fruchtbare Aroma des Flusses auf der Zunge. Sein Gewicht schien den Baum nicht zu belasten, und der Gedanke durchzuckte ihn, daß er nicht in diesem Moment ertrinken würde. Die Tatsache, daß er in dem gleichen Wasser vor sechsunddreißig Stunden schon einmal dahingetrieben war, stieß ihm auf und schien einigermaßen belanglos, da die Situation jetzt gänzlich außer Kontrolle war und auch niemand da war, um zu sehen, ob er für immer unten blieb.
    Er krallte sich noch fester an die Buchenrinde und tastete mit seinem Fuß unten an den Wurzeln entlang. Er probierte, den Baum Stück für Stück loszulassen und einen Fuß in Richtung auf das auszustrecken, was wie der Boden wirkte, aber das Wasser riß seinen Fuß sofort mit sich stromabwärts, und er hatte kein Gefühl dafür, wie tief das Wasser einen halben Meter unter der Stelle, wo er sich festhielt, wirklich war.
    Seine Zähne begannen zu klappern, und er versuchte, stromaufwärts zu schauen. Es schien noch weitere Bäume zwischen ihm und der Stelle zu geben, an der er abgerutscht war, und er dachte, daß er sich vielleicht, wenn er sich von Baumstamm zu Baumstamm und von Wurzel zu Wurzel in einem mühsamen, tarzanähnlichen Stil vorarbeitete, am Fluß wieder hochmanövrieren und näher an festen Boden gelangen könnte.
    Er veränderte seinen Griff an der Rinde und hing nun, dem Fluß zugewandt, unsicher am Baum. Das stinkende Wasser schwappte gegen ihn, und ihm wurde schwindelig, und er hatte das Gefühl, daß er sich nicht mehr ganz unter Kontrolle habe.
    Vom ersten Buchenstamm aus machte er einen umständlichen Ausfall zur nächsten greifbaren Stelle stromaufwärts, was ein Eichenstrunk war, an dem er, von Wurzel zu Wurzel gleitend, vorbeischlüpfen mußte, um dorthin zu gelangen, wo die Bäume dichter wuchsen und er sich eher zum Ufer vorbeugen konnte. Schritt für Schritt watete er durch Schaumbüschel hindurch über die Wurzeln und das weggleitende Geröll des Flußbetts bis zu dem Landvorsprung, von dem er abgerutscht und mehrere Meter stromabwärts getrieben war.
    Er robbte aus dem Wasser und hörte, wie irgendwo weiter oben am Ufer etwas laut auf dem Wasser aufklatschte und es schäumend aufrührte, und dann hörte er das Geräusch von Gliedmaßen, die aus dem Wasser schossen, und Geröll, das auf die Wasseroberfläche prasselte, und das schwächere Geräusch von irgendeinem Tier, das keuchte und schnaubte und in die Lichtung davontrottete. Er saß zitternd da mit untergezogenen Beinen und den Schuhen voller Schlick, aus denen kleine Bäche rannen, und überlegte, ob irgendein Tier den Fluß durchschwommen hatte und – wenn dem tatsächlich so war – was es wohl dazu getrieben hatte. Er blies die Backen auf und ließ die Luft langsam wieder raus und dachte an Beebes Theorie, daß Tiere ihrem eigenen armseligen und wenig verheißungsvollen Territorium die Treue hielten – selbst wenn ihnen die Nahrung ausgegangen war und sie ausgehungert waren und ihren Feinden zum Opfer fielen. »Es ist der stärkste Trieb, den sie haben«, sagte sie und knabberte genauso an ihrem Daumen, wie er ihren Großvater nach dem Frühstück an seinem Daumen hatte herumnagen sehen. »Und ihr dümmster«, sagte sie.

7
    In New Orleans nahm seine Mutter den Zug nach Jackson, und er ging in der Sonne mit seinem Vater die Canal Street hoch zum Monteleone, wo sie Austern aßen und Root Beer tranken, und anschließend machte er ein langes Nickerchen im schattigen Zimmer. Um sechs Uhr schlief sein Vater noch, und er zog sich im Dämmerlicht an und schlüpfte in seine Schuhe und ging den ganzen langen Flur hinunter, der nach warmem Brot und frischer Wäsche roch. Am Ende des Korridors blieb er unter dem dreieckigen »Ausgang«-Schild stehen und schaute hinunter in die tiefe Schlucht der Royal Street, wo die Leute klein und still aussahen, bis der Wind, der den langen grünen Korridor durchwehte, die Tür neben ihm ein wenig öffnete, und er zwei Frauen sah, die Seite an Seite auf dem Bett lagen und in den schmalen Spalt der geöffneten Eingangstür lächelten. Sie lagen nackt auf den frischen weißen Laken, mit einem halbgeleerten halben Liter Whiskey zwischen sich, und ihre Haare waren naß

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