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Ein Stueck vom Himmel

Ein Stueck vom Himmel

Titel: Ein Stueck vom Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Lukan
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knapp unter dem Vorgipfel – beide Bergsteiger waren physisch und psychisch topfit und hungrig nach dem Gipfelerfolg. Jedoch: Expeditionsleiter Willy Merkl wollte fast mit der ganzen Mannschaft gemeinsam auf dem Gipfel stehen und pfiff sie zurück. Das war falsch und führte zu dem bekannten katastrophalen Ende dieser Expedition. Autoritäre Führung?
    Im Jahre 1974 saß neben Peter Aschenbrenner einer der stärksten Vertreter des damaligen autoritären Expeditionsleiterstils am gleichen Tisch: Notar Paul Bauer: »Einer muss der Kopf einer vielköpfigen Mannschaft sein!«
    Für mich als neutraler Beobachter war es ein Erlebnis zu sehen, wie es das Leben, das Älterwerden, schafft, so still und leise alle Leidenschaften verglühen zu lassen. Peter Aschenbrenner und Paul Bauer – einst ideologische Gegner – saßen jetzt friedlich nebeneinander.
    An diesem Tisch wurden auch etliche Entschuldigungsschreiben von Bergsteigern vorgelesen, die krankheitshalber zu diesem Treffen nicht kommen konnten. Die Krankheit: zumeist Bandscheiben- oder Gelenksleiden. Jeder der Anwesenden akzeptierte spontan einen solchen Entschuldigungsgrund – weil er nämlich ebenfalls mehr oder weniger an dem gleichen Leiden litt. Womit einmal festgestellt werden soll, dass langjähriges Bergsteigen und Schwere-Rucksäcke-Tragen und munteres über Stock-und-Stein-zu-Tale-Springen keineswegs eine den Körper gesund machende Betätigung ist.
    Der Lucke Hansei war einmal einer der besten Kaiserkletterer (einen Aschenbrenner-Lucke-Weg gibt es in der Fleischbank-Ostwand und der Leuchsturm-Südwand, und in der Bauernpredigtstuhl-Westwand einen Lucke-Strobl-Riss) und bei diesem Treffen der Fröhlichste von allen. Obwohl das Schicksal dem einstigen Tischlergesellen gar nicht gutgesinnt war: In der Kreissäge verlor er die linke Hand. Und damit beginnt Aschenbrenners Geschichte ...
    Viele Touren hatte er mit dem Hansei gemacht und musste nun erleben, wie dieser nur noch zum Totenkirchl hinaufschauen konnte. Nachdem der Stumpf endlich gut verheilt war, sagte er: »Hansei, jetzt steigen wir zwei wieder einmal aufs Totenkirchl. Und damit ich es nicht leichter hab als du, klettere ich auch nur mit einer Hand!«
    Der Führerweg aufs Totenkirchl (Schwierigkeitsgrad II–III) hat einige Stellen, an denen man sich auch mit zwei Händen gut anhalten muss. Aschenbrenner – der nicht nur ein Himalaya-Bergsteiger war, sondern auch einer der besten Extremkletterer seiner Zeit – sagte, dass das die schwierigste Kletterei seines Lebens gewesen ist.
    Und dann sagte er noch (leise, so dass es der am gleichen Tisch sitzende Hansei nicht hören konnte): »Ich hab mich öfter gern mit der zweiten Hand anhalten wollen ... aber das konnte ich doch dem Hansei nicht antun!«
    Das war die schönste Geschichte ums Totenkirchl, die ich je gehört hatte.
    Viele Geschichten wurden an diesem Abend noch erzählt. Und manche der Erzähler fanden es gar nicht so selbstverständlich, dass sie noch an diesem Treffen teilnehmen konnten. Otto Eidenschink meinte, dass es ein »Treffen der Überlebenskünstler vom Berg« sei.
    Otto Eidenschink hatte durch einen Skiunfall ein Auge verloren. Aber nach diesem Treffen im Wilden Kaiser fuhr er in die Dolomiten, nur um dort eine blühende Feuerlilie zu fotografieren ... weil diese »so was einmalig Schönes ist, was viele gar nicht sehen!«
    Bei der Heimfahrt nach Wien fuhren wir am Untersberg vorbei. Schwanda wollte wissen, wie hoch der Berg sei. Aber in seinen Gedanken war er noch immer bei dem »Treffen der Überlebenskünstler« im Wilden Kaiser. »Wie alt ist eigentlich der Untersberg?«, fragte er.
    In Salzburg rief Schwanda unseren alten Bergspezl Sepp Binder an. Im vergangenen Sommer hatte er mit uns die 1400 Meter hohe Ostwand des Gran Sasso in den Abruzzen durchstiegen.
    »Der Sepp ist im Wallis unterwegs und kommt heute Nacht zurück!«, sagte seine Frau.
    Am nächsten Morgen rief Schwanda wiederum an. »Nein, der Sepp ist noch immer nicht zurückgekommen!«, sagte seine Frau. Zu diesem Zeitpunkt wusste sie noch nicht, dass ihr Mann und unser Bergspezl nie mehr zurückkommen wird, dass er schon seit einigen Tagen tot war ... abgestürzt am Lyskamm.
    »Die größte Kunst beim Bergsteigen ist, dass man auch alt wird dabei!«, hatte Schwanda bei dem Altherrentreffen wieder einmal gesagt.

VOM KLETTERN IN DEN DOLOMITEN
    Im Sommer des Jahres 1788 bereiste der französische Mineraloge Déodat Guy Sylvain Tancrède Gratet de Dolomieu zum

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