Ein stuermischer Retter
wehmütig. Inzwischen mussten sie ihren Brief erhalten haben, in dem stand, dass sie Felix verlassen hatte. Bestimmt erwarteten sie schon seit Tagen ihre Rückkehr.
Sie schloss die Augen und versuchte, ihrer Zwillingsschwester gute Gedanken zu übermitteln. Manchmal gelang es ihnen, ihre jeweiligen Gefühle zu spüren. Faith konzentrierte sich darauf, obwohl sie nicht wusste, ob es klappen würde. Aber sie musste es tun, sie konnte nicht anders.
Das war das Schlimmste in den vergangenen Wochen gewesen, dieses Gefühl der Hilflosigkeit. Sie hatte keine Ahnung gehabt, was sie tun sollte. Ihr Leben lang hatte sie es zugelassen, dass andere sich um sie kümmerten - ältere Geschwister, ihre viel mutigere Zwillingsschwester, ihr Großonkel und zu guter Letzt Felix.
Felix. Was für eine naive, vertrauensselige Närrin sie doch war!
Eingehüllte in ihre Decke sah sie hinauf zum Nachthimmel. Ein Stern erschien ihr heller als die anderen, funkelte strahlender. Ich werde wie dieser Stern sein, beschloss sie. Irgendwie würde sie es lernen, auf eigenen Füßen zu stehen. Nie wieder wollte sie so restlos abhängig von einem anderen Menschen sein.
Das Feuer knisterte leise, die Flammen züngelten in der Dunkelheit. Ein Stück weiter entfernt hörte sie das sanfte Rauschen der Wellen, ein beruhigendes, tröstliches Geräusch. Schon bald war Faith ebenfalls eingeschlafen.
Mitten in der Nacht wurde sie von einem Geräusch geweckt. Vorsichtig hob sie den Kopf und blickte um sich, aber es war nichts zu sehen. Beowulf hatte sich jedoch aufgerichtet und betrachtete Blacklock mit gespitzten Ohren. Das riesige Tier winselte leise, dann stupste es seinen Herrn mit der Pfote an.
Faith rückte näher heran. Der Hund begann zu knurren, aber sie achtete nicht darauf. Blacklock warf unruhig den Kopf hin und her. Sein Gesichtsausdruck wirkte angespannt, doch nicht mehr so schmerzverzerrt wie noch vor wenigen Stunden. Ein Albtraum vielleicht? Damit kannte Faith sich aus, ebenso ihre Zwillingsschwester. Sie hatten beide oft Albträume.
Sie befühlte seine Stirn, die nicht mehr feucht war. Sanft strich sie mit ihren Fingern darüber. „Ruhig, es ist alles gut", flüsterte sie. Er riss die Augen auf und starrte sie an, ohne sie wirklich zu sehen. „Ganz ruhig", wiederholte sie leise. „Es ist nur ein Traum, es ist nichts passiert." Er warf hektische Blicke um sich, als suche er etwas. „Es ist alles in Ordnung. Schlafen Sie weiter."
Er hob abrupt den Arm und packte ihr Handgelenk. Einen Moment lang fixierte er Faith, dann schloss er erneut die Augen. Sein Griff um ihr Handgelenk verstärkte sich, und er seufzte einmal tief, ehe er sich entspannte und ihre Finger gegen seine Brust presste.
Faith versuchte ein paarmal, ihm die Hand zu entziehen, aber es gelang ihr nicht. Unter ihren Fingern konnte sie seinen Herzschlag spüren, gleichmäßig, wenn auch ein wenig zu schnell. Sobald er wieder fest eingeschlafen war, würde sich sein Griff bestimmt lockern. Sie legte sich neben ihn und wartete darauf, dass dies geschah.
Das Heben und Senken seiner Brust beim Atmen hatte etwas Tröstliches an sich. Es war wie die Wellen des Meeres, ein beständiges Auf ... und Ab ...
Nick erwachte, als die ersten Sonnenstrahlen auf ihn fielen, mit einem ungewohnten Gefühl der Zufriedenheit und einem säuerlichen Geschmack im Mund. Er war erregt, und zwar über alle Maßen; in einem solchen Zustand war er schon lange nicht mehr aufgewacht. Er lächelte versonnen. Er musste etwas geträumt haben, nur leider wusste er nicht mehr, was das gewesen war.
Er streckte sich, und in dem Moment bemerkte er die kleine Frauenhand auf seiner Brust. Jetzt wurde ihm der Grund für seine Erregung klar. Der weiche Körper einer Frau schmiegte sich an ihn, warm und vertrauensvoll.
Wer zum Teufel war das? Er konnte sich nicht erinnern, eine Frau verführt zu haben. Die einzige Frau, die ihm einfiel ... und dann kehrten die Erinnerungen an den vergangenen Abend schlagartig zurück. Das Mädchen, das vor diesen Schurken geflüchtet war, der Kampf - Gott, wie er den genossen hatte! -, das Essen am Lagerfeuer, die stolze Behauptung des Mädchens, es hätte eine Unterkunft ...
Doch was den Rest des Abends betraf, so herrschte nur eine große Leere in seinem Kopf. Plötzlich verstand er auch den Grund für diesen unangenehmen Geschmack in seinem Mund. Schon wieder ein Anfall. Verdammt!
Seine Zufriedenheit verflog, auch wenn sein körperlicher Zustand unverändert blieb.
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