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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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untergebracht war. Bücherkabinett wäre wohl der passendere Begriff gewesen, da der Raum kaum mehr als vier Quadratmeter maß, jedoch so lückenlos und stimmig mit Büchern ausgekleidet war, daß der Eindruck einer geschlossenen Bewegung entstand. Denn vergleichbar dem christlichen Fernsehraum, besaßen auch hier die Wände eine geschwungene, gewellte Form. Eine Form, an welche die Regale und damit auch die Bücher angepaßt waren, die wie dicht gedrängtes Treibgut vor und zurück wogten. Unterbrochen nur von einer Tür und einem schmalen, kaum zwei Hand breiten, jedoch vom Boden bis zur Decke reichenden Fenster.
    Auf die Scheibe waren, eins unter dem anderen, schwarze Buchstaben aufgemalt worden, die zusammen das Wort GÜRTEL ergaben. Diese Installation ging noch auf eine Idee des Architekten zurück, welcher solcherart versucht hatte, den Blick von der Bibliothek in den Garten intellektuell zu überhöhen. Und damit zumindest einiges an Verwirrung gestiftet hatte.
    In der Mitte des Raums stand allein ein Sessel, an dessen Lehne eine Leselampe montiert war, die etwas von einer winkenden Hand besaß. Bei den Büchern selbst handelte es sich ausschließlich um Werke der Wissenschaft und Philosophie, darunter so wertvolle Exemplare wie eine Erstausgabe von Descartes’ »Die Leidenschaften der Seele« oder eine an sich billige Newton-Biographie, die jedoch vom jungen Niels Bohr mit einer Unmenge von handschriftlichen Randbemerkungen vollgekritzelt worden war, worunter sich auch eine kleine schlampige Zeichnung befand, die man als einen ersten Entwurf von Bohrs berühmtem Atommodell interpretieren konnte. Doch das eigentlich Faszinierende an diesem Bücherkabinett war der Umstand, daß absolut kein Band, wie flach auch immer, mehr hineingepaßt hätte und man zudem den Eindruck gewann, daß jedes Exemplar an seiner einzig richtigen Stelle stand. Wenn man nämlich die Wellenbewegung bedachte. Ein Verstellen der einzelnen Bände wäre keinesfalls in Frage gekommen. Dieser Ort war so perfekt wie die reinste Natur. Perfekt in dem Sinn, daß er anders weder denkbar war noch funktioniert hätte.
    Es besaß einen großen Reiz für Mortensen, in dem harten, am Holzboden festgeschraubten Lesestuhl zu sitzen und in einem der Folianten zu schmökern, auch wenn die Materie der meisten Schriften seine geistigen Möglichkeiten überstieg. Im Grunde war er getrieben von der Hoffnung, zwischen all diesen Worten und Überlegungen und hochgestochenen Gescheitheiten auf einen wirklich herausragenden, entscheidenden Satz zu stoßen, bei dem es sich dann natürlich um eine sehr einfach formulierte Erkenntnis handeln würde. Etwa in der Art, wie Wittgensteins hirnzerreißender Tractatus endet, jenes »Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen«, bloß daß der Spruch, nach dem Mortensen suchte, allein für ihn selbst von weitreichender Bedeutung sein würde, ihm selbst zu einer entscheidenden Veränderung verhelfen könnte. Einer Veränderung in Richtung auf ein wahrhaftiges, einfaches Glück. Ein Glück von der Beständigkeit einer Schildkröte.
    Es war früher Abend, und hinter der Buchstabensäule des Wortes GÜRTEL zerfiel endgültig der kurze Tag, als Mortensen La Mettries »L’Homme Machine« schloß. Auch diesmal war ihm nichts untergekommen, das ihm geholfen hätte, das Glück wie eine Knolle aus der Erde zu ziehen. Er begab sich nach unten und öffnete für April ein Schälchen mit Hühnerfleisch. Er streichelte der Katze mehrmals über den Rücken, da sie ohne diese Liebkosung sich angeblich weigerte, ihre Mahlzeit einzunehmen. Die Freifrau bestand auf solcher Behandlung. Während Mortensen sich dachte, eben auch für diesen Schwachsinn bezahlt zu werden. Und schließlich gab es Schlimmeres in einem Berufsleben, als nachlässig einen Katzenrücken zu berühren.
    Nachdem April begonnen hatte, ihr Killergebiß in die weiche Masse zu schlagen, wechselte Mortensen hinüber in die »Kapelle« und schaltete das Fernsehgerät an. Minuten später erschien jene junge, nervöse Dame vom Vortag auf dem Bildschirm, nervöser denn je, und teilte mit, daß im Mordfall Thomas Marlock der wahrscheinliche Täter gefaßt worden sei.
    Mortensen griff sich an die Brust, atmete tief durch. Dann folgte ein Seufzer der Erleichterung. Der Polizei sei Dank. Oder eben den glücklichen Umständen, die zur Ergreifung …
    Intro!
    Der Reporter Adrian Frank trat merklich beschwingt vor die Kamera. Sein Blick besaß jene spöttische

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