Ein süßer Traum (German Edition)
machten Anstalten, aufzubrechen.
»Ich gehe zurück ins Krankenhaus«, sagte Sylvia. »Da kann ich mich wenigstens intelligent unterhalten.«
»Ich will den Brief sehen, von dem du redest«, sagte Johnny.
»Warum?«, fragte Sylvia. »Du bist doch nicht bereit, über das zu diskutieren, was drinsteht.«
Andrew hatte eine Vermutung: »Wahrscheinlich will er die hiesige sowjetische Botschaft über den Inhalt informieren, damit man ihn zurückverfolgen und die, die ihn geschrieben haben, ins Arbeitslager schicken oder erschießen kann.«
»Es gibt keine Arbeitslager«, sagte Johnny. »Und wenn es mal welche gab – da wurde stark übertrieben –, dann gibt es sie jetzt nicht mehr.«
»Oh Gott«, sagte Andrew. »Du bist wirklich ein Langweiler, Johnny.«
»Langweiler sind nicht gefährlich«, sagte Julia. »Johnny und seinesgleichen sind schon gefährlich.«
»Das ist wohl wahr.« Wilhelm sprach wie immer höflich mit Johnny. »Sie alle sind sehr gefährliche Leute. Ist Ihnen klar, dass Ihretwegen zehn Millionen Menschen sterben könnten, wenn es hier, in diesem Land, einen Atomunfall gibt oder wenn irgendein Verrückter eine Bombe wirft, ganz zu schweigen von einem Krieg?«
»Vielen Dank für den Imbiss«, sagte Johnny.
»Ja, vielen Dank.« Sylvia war den Tränen nahe. »Ich hätte wissen müssen, dass jeder Versuch zwecklos ist.«
Die beiden Männer gingen. Auch Andrew und Sophie verabschiedeten sich und gingen eng umschlungen hinaus, nicht ohne zu bemerken, dass Colin bei diesem Anblick süffisant lächelte.
Sylvia sagte: »Jedenfalls gibt es ein Komitee. Bis jetzt sind es nur Ärzte, aber wir werden uns vergrößern.«
»Du kannst uns alle anmelden«, sagte Colin, »aber mach dich darauf gefasst, dass du im Wein Glassplitter findest und im Briefkasten Frösche.«
Sylvia umarmte Julia und ging.
»Findet ihr es nicht seltsam, dass dumme Menschen so viel Macht haben können?« Es fehlte nicht viel und Julia weinte, weil Sylvia sich so achtlos verabschiedet hatte.
»Nein«, sagte Colin.
»Nein«, sagte Frances.
»Nein«, sagte Wilhelm Stein.
»Nein«, sagte Rupert.
»Aber wir sind hier in England, wir sind in England …«, sagte Julia.
Wilhelm nahm sie in den Arm und führte sie nach draußen und die Treppe hinauf.
Frances, Rupert und Colin mit seinem Hund blieben zurück. Die Situation war vertrackt: Rupert wollte über Nacht bleiben, und Frances wollte das auch, aber sie hatte Angst vor Colins Reaktion – sie kam nicht dagegen an.
»Also, ihr beiden«, sagte Colin, und er musste sich überwinden, »Schlafenszeit, denke ich« – und gab ihnen so die Erlaubnis. Er fing an, den Hund zu ärgern, bis er bellte.
»Na bitte«, sagte er. »Er hat immer das letzte Wort.«
Ein paar Wochen später waren Frances und Rupert, Julia, Wilhelm und Colin bei einer Versammlung, die die jungen Ärzte einberufen hatten. Ungefähr zweihundert waren gekommen. Sylvia eröffnete die Versammlung, und ihre Rede fand viel Beifall. Andere Ärzte folgten und dann weitere Redner. Mitglieder der Opposition hatten Wind von der Versammlung bekommen, und es gab eine Gruppe von dreißig Personen, die unentwegt schrien, pfiffen und riefen:
Faschisten! Kriegstreiber! CIA !
Einige unter ihnen waren Mitarbeiter des
Defender
. Beim Hinausgehen wurde Wilhelm Stein von ein paar jungen Leuten, die am Ausgang warteten, gepackt und gegen ein Geländer geschleudert. Colin stürzte sich auf sie und schlug sie in die Flucht. Wilhelm war erschüttert, und sie glaubten, es wäre nur der Schock, aber dann stellte sich heraus, dass einige Rippen gebrochen waren, und sie brachten ihn in Julias Haus und dort zu Bett.
»Und so, meine Liebe«, sagte er mit keuchender Stimme, die alt klang, »und so, Julia, habe ich das Unmögliche erreicht: Ich wohne endlich bei dir.« Dadurch hörten die anderen zum ersten Mal davon, dass Wilhelm einziehen wollte.
Er wurde in dem Zimmer untergebracht, das Andrew gehört hatte, und Julia erwies sich als ergebene, aber pingelige Krankenschwester. Wilhelm hasste es, denn er hatte immer Julias Kavalier sein wollen, ihr Galan. Und auch Colin, der schroffe junge Mann, überraschte die anderen und möglicherweise sich selbst mit seiner reizenden Aufmerksamkeit für den alten Mann. Er setzte sich zu ihm und erzählte ihm Geschichten über sein »gefährliches Leben in Hampstead Heath und den dortigen Pubs«, in denen Vicious als eine Art Hund von Baskerville fungierte. Wilhelm lachte und bat Colin, damit
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