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Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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zarten Mädchen – so wirkte sie immer noch – wurde klar, wie verschieden sie waren. Phyllida sagte: »Was für ein Bleichgesicht! Du bist wie dein Vater, der war ein richtiger Schwächling. Ich habe ihn immer Genosse Lily genannt. Er hieß mit zweitem Vornamen Lillie, nach irgendeinem alten Cromwell-Revolutionär. Ich musste mich doch irgendwie behaupten, wenn er anfing, den Parteikommissar zu spielen. Er war noch schlimmer als Johnny, auch wenn es kaum zu glauben ist. Nörgel, nörgel, nörgel. Diese verdammte Revolution, das war doch nur ein Vorwand, um an den Leuten herumzunörgeln. Bei deinem Vater musste ich immer revolutionäre Texte auswendig lernen. Das
Kommunistische Manifest
kann ich dir sicher jetzt noch aufsagen. Und bei dir ist es eben wieder die Bibel.«
    »Wieso wieder?«
    »Mein Vater war Geistlicher. In Bethnal Green.«
    »Wie waren sie denn, meine Großeltern?«
    »Weiß ich nicht. Hab sie kaum gesehen, nachdem sie mich weggeschickt hatten, damit ich bei meiner Tante wohne. Da wollte ich sie nicht sehen. Nachdem sie mich einfach so für fünf Jahre weggeschickt hatten, nahm ich an, dass sie auch nichts von mir wissen wollten.«
    »Hast du Fotos von ihnen?«
    »Ich habe sie zerrissen.«
    »Ich hätte sie gerne gesehen.«
    »Ach, wozu auch, jetzt, wo du weggehst. Wahrscheinlich so weit weg wie möglich. Ein kleines Ding wie du. Die müssen verrückt sein, dich nach Afrika zu schicken.«
    »Wie auch immer. Eigentlich bin ich gekommen, um dir etwas Wichtiges zu sagen. Was ist das übrigens für ein Doktor auf deinem Namensschild?«
    »Ich bin schließlich Doktor der Philosophie. Ich habe Philosophie studiert.«
    »Aber in diesem Land führt man den Doktor nicht so. Das machen nur die Deutschen.«
    »Niemand kann sagen, dass ich kein Doktor bin.«
    »Du wirst Probleme bekommen.«
    »Bis jetzt hat sich noch niemand beschwert.«
    »Deswegen bin ich zu dir gekommen … Mutter, diese Therapie, die du da machst. Ich weiß, man braucht keine Ausbildung dafür, aber …«
    »Durch meine Praxis lerne ich ständig hinzu. Glaub mir, das ist wie Unterricht.«
    »Ich weiß. Die Leute sagen, dass du ihnen geholfen hast.«
    Phyllida schien sich in eine andere zu verwandeln: Sie wurde rot, sie beugte sich vor und rang die Hände, lächelte und war ganz verwirrt vor Freude. »Ja? Hast du etwas Gutes gehört?«
    »Ja, habe ich. Aber was ich eigentlich vorschlagen wollte: Warum machst du nicht einen Kurs? Es gibt gute Kurse.«
    »Ich komme auch so gut zurecht.«
    »Ein paar gute Worte sind ja ganz nett …«
    »Ich kann dir sagen, es hat Zeiten gegeben, da hätte ich ein paar gute Worte brauchen können …« Und ihre Stimme glitt ab in das Grabgeläut ihrer Klagen. Sylvias Muskeln sorgten schon von selbst dafür, dass sie aufstand, aber Phyllida sagte: »Nein, nein, setz dich, Tilly.«
    Sylvia setzte sich und zog aus einer Aktenmappe einen Stoß Papiere, den sie ihrer Mutter reichte. »Ich habe eine Liste mit geeigneten Kursen gemacht. Irgendwann klagt jemand über Kopfschmerzen oder Bauchschmerzen, und dann sagst du, es ist psychosomatisch, dabei ist es Krebs oder ein Tumor. Und dann machst du dir Vorwürfe.«
    Phyllida saß schweigend da und hielt die Papiere fest. In dem Moment trat Mary Constable ein und strahlte selbstsicher über das ganze Gesicht.
    »Das hier ist Tilly«, sagte Phyllida.
    »Wie geht’s, Tilly?« Mary umarmte kurzerhand die widerwillige Sylvia.
    »Sind Sie auch Psychotherapeutin?«
    »Physio«, sagte Phyllidas Gefährtin … Geliebte? Wer konnte das heutzutage wissen? »Ich bilde Physio-Schüler aus. Wir sagen, dass wir beide zusammen uns mit dem ganzen Menschen beschäftigen.« Mary strahlte fröhlich überzeugende Verbindlichkeit und schwache Weihrauchdüfte aus.
    »Ich muss gehen«, sagte Sylvia.
    »Du bist doch gerade erst gekommen.« Phyllida befriedigte es, dass Sylvia sich so verhielt, wie sie es erwartet hatte.
    »Ich habe eine Versammlung.«
    »Klingt genau wie Genosse Johnny.«
    »Das will ich nicht hoffen«, sagte Sylvia.
    »Dann mach’s gut. Schick mir eine Postkarte aus deinem tropischen Paradies.«
    »Da ist gerade ein ziemlich übler Krieg zu Ende gegangen«, sagte Sylvia.
     
    Sylvia rief Andrew in New York an, dort sagte man ihr, er sei in Paris, und dort, er sei in Kenia. Aus Nairobi hörte sie schwach seine Stimme, und es knackte.
    »Andrew, ich bin’s.«
    »Wer ist da? Verdammte Leitung. Aber wir kriegen keine bessere. Dritte-Welt-Technologie!«, schrie er.
    »Hier

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