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Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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und doch wohl fehl am Platze hier im Busch? Aber, Moment – auf einem Schemel aus dunklem Holz hielt eine einheimische Maria, eine kraftvolle junge Frau aus dem gleichen dunklen Holz, ein Baby im Arm. Das war besser. An einem Nagel an der Wand hing ein Rosenkranz aus Ebenholz – in der Nähe des Bettes, wo der Priester ihn erreichen konnte.
    In den sechziger Jahren hatten die ideologischen Tumulte, von denen die Welt heimgesucht wurde, die katholische Kirche erreicht, brodelnde Unruhen, in deren Verlauf man versuchte, die Jungfrau Maria zu entthronen. Die Heilige Mutter war
out
, und die Rosenkränze auch. Sylvia war nicht katholisch erzogen worden, sie hatte nie die Finger in ein Weihwasserbecken getaucht und hübsche Rosenkränze darum gewunden und sich bekreuzigt und mit anderen kleinen Mädchen Heiligenbilder getauscht. (»Ich gebe dir dreimal den heiligen Hieronymus für eine Muttergottes.«) Sie hatte nie zur Jungfrau gebetet, nur zu Jesus. Als sie in die Kirche eintrat, fehlte ihr das, was sie nie gekannt hatte, demnach nicht, und erst allmählich, wenn sie ältere Priester oder Nonnen oder Kirchenmitglieder kennenlernte, erfuhr sie, dass eine Revolution stattgefunden hatte, in deren Folge viele trauerten, besonders um die Jungfrau. (Man sollte sie wieder einführen, Jahrzehnte später.) An jenen für Augen, die über Ketzerei und Abtrünnigkeit wachten, unsichtbaren Orten der Welt behielten die Priester und Nonnen ihre Rosenkränze und ihr Weihwasser, ihre Statuen und Marienbilder und hofften, dass niemand es bemerkte.
    Jemand wie Rebecca, die eine kleine Karte mit der Muttergottes an den mittleren Pfosten ihrer Hütte genagelt hatte, hätte diese ideologische Streiterei zu albern gefunden, um auch nur darüber nachzudenken: Aber sie hatte nie davon gehört.
    In Sylvias Zimmer war eine Reproduktion von Leonardos Felsengrottenmadonna mit Reißnägeln auf die Ziegel geheftet, und daneben hingen ein paar kleinere Marienbilder. Man hätte aus der Wand leicht schließen können, dass dies eine Religion war, in der Frauen angebetet wurden. Das Kruzifix war armselig im Vergleich. Rebecca setzte sich manchmal mit gefalteten Händen an das Fußende von Sylvias Bett, schaute den Leonardo an und seufzte, während ihre Tränen liefen. »Ach, sie sind so schön.« Man konnte sagen, dass die Jungfrau mit den Mitteln der Kunst durch die Fugen des Dogmas geschlüpft war. Es war Sylvia nicht bewusst, dass ihr besonders an der Muttergottes lag, aber ihr war bewusst, dass sie nicht ohne Reproduktionen der Bilder leben konnte, die sie am meisten liebte. Silberfische machten sich über deren Ränder her. Sie musste jemanden bitten, ihr neue Bilder mitzubringen.
    Sie schlief in ihrem Sessel ein, während sie Pater McGuires fade Statuette betrachtete und sich fragte, wie man sich diese aussuchen konnte, wenn auch eine
echte
Statue, ein echtes Bild zu haben war. Es wäre ihr nicht im Traum eingefallen, das zu Pater McGuire zu sagen, der in Donegal aufgewachsen war, in einem kleinen Haus mit vielen Kindern, und der direkt im Anschluss an sein Theologiestudium nach Simlia gekommen war. Mochte er denn den Leonardo nicht? Er hatte lange in der Tür zu Sylvias Zimmer gestanden, weil Rebecca zu ihm gesagt hatte: »Pater, Pater, kommen Sie und schauen Sie, was Doktor Sylvia uns mitgebracht hat.« Seine Hände lagen, gefaltet und von einem Rosenkranz eingefasst, vor seinem Bauch und hoben und senkten sich, während er dastand und schaute. »Das sind Engelsgesichter«, erklärte er schließlich, »und der Maler hat sie sicher in einer Vision gesehen. Keine sterbliche Frau hat je so ausgesehen.«
    Während am nächsten Morgen Rebeccas Wäsche wieder trocknete, nachdem das Unwetter sie durchnässt hatte, fragte Sylvia Aaron, ob er den Busch nach Larven absuchen würde, aber er sagte, er fürchte, er müsse für den Unterricht bei Pater McGuire lernen.
    Sie ging zum Dorf, traf auf ein paar junge Leute – die eigentlich in der Schule hätten sein müssen – und sagte, sie werde ihnen Geld geben, wenn sie den Busch absuchten. »Wie viel?« »Ich gebe euch eine Pauschale, die könnt ihr euch teilen.« »Wie viel?« Schließlich verlangten sie Fahrräder, Lehrbücher für die Schule und neue T-Shirts. Sie glaubten, alle Weißen wären reich und hätten Zugang zu allem, was sie haben wollten. Sie fing an zu lachen, dann lachten sie auch, und es wurde vereinbart, dass sie das bekommen sollten, was sie in der Hand hielt, ein paar

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