Ein süßer Traum (German Edition)
man vermutete.
»Er hatte wunde Stellen, und er war zu dünn, und dann ist er gestorben.«
»Jemand muss der Frau etwas zu essen geben«, sagte Sylvia.
»Vielleicht kann Rebecca ihr etwas von der Suppe bringen, die sie für den Pater kocht.«
Sylvia schwieg. Das war ihr schlimmstes Problem. Sie war es gewohnt, dass Patienten im Krankenhaus zu essen bekamen, aber hier mussten die Verwandten für die Verpflegung sorgen. Und wenn Rebecca Suppe oder etwas anderes vom Tisch des Priesters brachte, würde es böses Blut geben. Wenn Rebecca überhaupt etwas brachte: Sie und Joshua trugen einen Kampf aus, wer was zu tun hatte. Und diese Frau würde sterben, dachte Sylvia. In einem anständigen Krankenhaus würde sie mit ziemlicher Sicherheit überleben. Auf der anderen Seite war sie zu schwach für den Transport in das dreißig Kilometer entfernte Krankenhaus. Sylvia hatte in ihrem Lagerraum Complan, das sie nicht als Lebensmittel bezeichnete, sondern als Medikament. Sie bat Joshua, etwas davon für die Frau anzurühren, und dachte: Ich verschwende kostbare Ressourcen an eine Sterbende.
»Warum?«, sagte Joshua. »Sie wird bald sterben.«
Sylvia ging ohne ein Wort zum Schuppen, den sie unvorsichtigerweise nicht abgeschlossen hatte, und traf dort auf eine alte Frau, die sich vor einem Regal reckte, um eine Medizinflasche herunterzuholen. »Was wollen Sie?«
»Ich will
muti
, Doktor. Ich brauche
muti
.«
Sylvia hörte das öfter als alles andere. Ich will Medizin. Ich will
muti
. »Dann kommen Sie dorthin, wo die anderen darauf warten, dass ich sie untersuche.«
»Oh, danke, danke, Doktor«, kicherte die alte Frau, und sie rannte aus dem Schuppen und in den Busch.
»Das ist eine schlechte
skellum
«, sagte Joshua. »Sie will die Medizin im Dorf verkaufen.«
»Ich habe die Apotheke nicht abgeschlossen.« Innerlich spottete sie über sich selbst, weil sie dieses Wort benutzte.
»Warum weinen Sie? Tue ich Ihnen leid, weil ich nicht Arzt werden kann?«
»Das auch«, sagte Sylvia.
»Ich weiß alles, was Sie wissen. Ich beobachte Sie und lerne dabei. Vielleicht brauche ich gar nicht viel Ausbildung.«
Sie rührte Complan an und trug es zu der Frau, die es schon nicht mehr brauchte: Ihr Atem flatterte in kurzen, stockenden Zügen.
Joshua wandte sich an einen kleinen Jungen, der bei seiner kranken Mutter saß, und sagte: »Geh ins Dorf und sag Clever, dass er für die Frau ein Grab ausheben soll. Die Ärztin bezahlt ihn.« Das Kind rannte davon. Zu Sylvia sagte er: »Ich will, dass Sie meinem Sohn Clever Unterricht geben.«
»Clever? Heißt er so?«
»Als er geboren wurde, hat seine Mutter gesagt, dass er Clever heißen muss, damit er clever wird. Und das ist er auch, sie hatte recht.«
»Wie alt ist er?«
»Sechs Jahre.«
»Er muss zur Schule gehen.«
»Was hat er davon, zur Schule zu gehen, wenn es da keinen Rektor gibt und keine Bücher zum Lernen?«
»Der Rektor wird ersetzt.«
»Aber es gibt keine Bücher in der Schule.« Das stimmte. Sylvia zögerte, und Joshua setzte seine Attacke fort: »Er kann herkommen und das lernen, was Sie wissen. Und ich kann ihm beibringen, was ich weiß. Wir können beide Ärzte werden.«
»Joshua, Sie verstehen das nicht. Ich nutze hier doch nur einen ganz kleinen Teil von dem, was ich weiß. Sehen Sie das nicht ein? Das ist kein richtiges Krankenhaus. In einem richtigen Krankenhaus gibt es …« Sie war der Verzweiflung nahe, wandte sich ab und schüttelte den Kopf, weil es so ungeheuerlich war, genau so, wie Joshua es getan hätte, denn das war eine afrikanische Geste; dann hockte sie sich hin und nahm ein Stückchen von einem Zweig und fing an, ein Gebäude in die weiche, nasse Erde zu zeichnen. Sie fragte sich: Was würde Julia sagen, wenn sie mich jetzt sehen könnte? Sie hockte mit gespreizten Knien da, und ihr gegenüber hockte Joshua mühelos und leicht auf seinen Oberschenkelmuskeln, während sie sich mit einer Hand abstützte. Mit der anderen zeichnete sie ein Gebäude mit vielen Stockwerken und schaute Joshua an und sagte: »So sieht ein Krankenhaus aus. Und es gibt Röntgenapparate – wissen Sie, was Röntgenstrahlen sind? Es gibt …« Sie dachte an das Krankenhaus, in dem sie ausgebildet worden war, während sie die Grasdächer über den Schilfmatten betrachtete, den Apothekenschuppen, die Hütte, in der die Frauen gebaren, auf Matten. Sie weinte.
»Sie weinen, weil das ein schlechtes Krankenhaus ist, aber ich müsste weinen, Joshua müsste weinen.«
»Ja,
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