Ein süßer Traum (German Edition)
zu machen oder eine Blinddarmoperation, eine Hand zu amputieren oder ein Knie mit einem komplizierten Bruch zu öffnen. Es gab eine Grauzone, in der schwer zu sagen war, ob sie auf der Seite des Rechts stand oder nicht: Manchmal schlitzte sie einen Arm auf, um ein Geschwür zu entfernen, oder öffnete eine eiternde Wunde, um sie zu säubern, und benutzte dabei chirurgische Instrumente. Wenn sie nur gewusst hätte, wie dringend sie die chirurgischen Fähigkeiten einmal brauchen würde, damals, als sie alle möglichen Kurse belegt hatte, die ihr jetzt nichts nutzten …
Sie erledigte auch Arbeit, mit der die Ärzte in Europa nie in Berührung kamen. Sie war durch die Dörfer in der Umgebung gefahren, um die Wasserversorgung zu kontrollieren, und hatte schmutzige Flüsse und verseuchte Brunnen gefunden. Um diese Jahreszeit wurde das Wasser knapp und stand oft in Tümpeln, die Bilharziose ausbrüteten. Sie zeigte den Frauen aus den Dörfern, woran manche Krankheiten zu erkennen waren und wann es geboten war, die Leidenden zu ihr zu bringen. Immer mehr Leute kamen zu ihr, weil man in ihr eine Art Wunderheilerin sah – in erster Linie wegen der zahlreichen Ohren, aus denen sie das Schmalz gespült hatte. Ihr Ruf wurde von Joshua verbreitet, denn dadurch konnte er seinen Ruf wieder retten, der beschädigt worden war, weil man ihn mit dem schlechten Arzt in Verbindung brachte. Er und Sylvia »kamen klar«, jedoch nur, weil sie überhörte, dass er den Weißen oft heftige Vorwürfe machte. Manchmal fuhr sie dazwischen: »Aber, Joshua, ich war nicht dabei, wie kann ich denn schuld sein?«
»Das ist Ihr Pech, Doktor Sylvia. Sie sind schuld, wenn ich das sage. Jetzt haben wir eine schwarze Regierung, und es gilt das, was ich sage. Und eines Tages ist das hier ein feines Krankenhaus, und wir haben unsere eigenen schwarzen Ärzte.«
»Das hoffe ich.«
»Und dann können Sie zurückfahren nach England und Ihre eigenen Kranken heilen. Gibt es Kranke in England?«
»Natürlich.«
»Und Arme?«
»Ja.«
»So arm wie wir?«
»Nein, lange nicht.«
»Weil ihr uns alles gestohlen habt.«
»Wenn Sie das sagen, Joshua, dann ist es so.«
»Und warum sind Sie nicht zu Hause und kümmern sich um Ihre eigenen Kranken?«
»Eine sehr gute Frage. Das frage ich mich auch oft.«
»Aber gehen Sie noch nicht. Wir brauchen Sie, bis wir unsere eigenen Ärzte haben.«
»Aber eure eigenen Ärzte kommen nicht her und arbeiten, wo alles so ärmlich ist. Sie wollen in Senga bleiben.«
»Aber hier wird dann nichts mehr ärmlich sein. Alles wird hier schön sein und reich, wie in England.«
Pater McGuire sagte zu ihr: »Nein, hören Sie mir zu, mein Kind, ich will ernsthaft mit Ihnen sprechen, als Ihr Beichtvater und Berater.«
»Ja, Pater.«
Er hatte sie geneckt, und sie war auf seinen Spaß eingegangen. Man konnte nicht wirklich sagen, dass sie dem Katholizismus abgeschworen hatte, aber sie musste ihren Glauben auf jeden Fall neu definieren. Sie war katholisch geworden wegen Pater Jack, einem schlanken, ernsten Mann, der sich in einer Askese verzehrte, die ihm nicht stand. Sein Blick klagte die Welt an, die ihn umgab, und was er tat, tat er in Wachsamkeit gegen Verirrung und Sünde. Sie war verliebt in ihn gewesen, und sie glaubte, dass auch sie ihm nicht gleichgültig war. Er war ihre große Liebe gewesen. Pater Jack hatte für das Priestertum gestanden, für den Glauben, für ihre Religion, und jetzt war sie in diesem Haus im Busch bei Pater McGuire, einem gelassenen, älteren Mann, der gerne aß. Man hätte meinen können, dass man unmöglich ein Gourmet sein konnte, wenn man sich von Porridge und Rindfleisch und Tomaten und Obst ernährte, das meist aus der Dose kam und selten frisch war. Unsinn. Pater McGuire schrie Rebecca an, wenn das Porridge nicht nach seinem Geschmack war, und sein Rindfleisch musste auf den Punkt gebraten sein, medium, und die Kartoffeln … Sylvia hatte Kevin McGuire gern, er war ein guter Mensch, wie Schwester Molly gesagt hatte, aber angezogen gefühlt hatte sie sich von der leidenschaftlichen Enthaltsamkeit eines Mannes, der ganz anders war, und von der Herrlichkeit von Westminster Cathedral. Und einmal auf der kurzen Reise zu Notre-Dame, die in ihrer Erinnerung brannte, schien alles sichtbar geworden zu sein, was sie am meisten liebte.
Jede Woche am Sonntagabend kamen die Leute aus dem Bezirk zur Messe in eine kleine Kirche aus schmucklosen Ziegeln, die mit Schemeln und Stühlen aus der Gegend
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