Ein süßer Traum (German Edition)
es stimmt, was du hörst.«
Nicht viele Leute auf der Welt hätten Johnnys Schicksal hart gefunden, denn immerhin hatte er wohl zwei Drittel seines Lebens in den Luxushotels bei den Genossen in der Sowjetunion, in Polen, in China, der Tschechoslowakei, in Jugoslawien verbracht, oder in Chile und Angola und Kuba. Wo auch immer eine Konferenz der Genossen stattgefunden hatte, Johnny war dabei gewesen, mit der Welt als Austerntank, als Honigtopf, als immer offenes Glas mit Beluga-Kaviar, aber jetzt war er hier, in einem einzigen Zimmer – in einem netten Zimmer, aber in einem Zimmer. Und bekam Altersrente. »Und ich habe einen Seniorenpass für den Bus.«
»Endlich ein gutes Mitglied des Proletariats«, sagte Andrew und lächelte den enteigneten Vater wohlwollend von seiner sicheren Seite aus an.
»Und du hast geheiratet, höre ich. Ich hatte allmählich schon gedacht, du bist schwul.«
»Wer weiß das schon heutzutage? Aber wie dem auch sei, wir dachten, du möchtest vielleicht unten in die Wohnung ziehen?«
»Das ist sowieso mein Haus, also tu nicht so, als wäre das ein Gefallen.«
Wie auch immer, dort gab es zwei gute Zimmer, und das Leben dort kostete ihn nichts, und er freute sich.
Colin ging nach unten und half ihm, sich einzurichten, und sagte, Johnny könne nicht erwarten, dass Frances ihn bediene.
»Ich wüsste nicht, dass sie das jemals getan hat. Sie war schon immer eine lausige Haushälterin.«
Aber Johnny war alles andere als abhängig von der Gesellschaft seiner Familie. Seine Besucher brachten Geschenke und Blumen mit, wie zu einem Schrein. Johnny war auf dem Weg, als Anhänger eines indischen Heiligen selbst zum Heiligen zu werden, und man hörte ihn jetzt oft sagen: »Ja, früher war ich ziemlich rot.« Gewöhnlich saß er im Schneidersitz auf den Kissen auf seinem Bett, und seine alte Geste, die Handflächen nach außen gewandt, als würde er sich dem Publikum opfern, passte sehr gut zu diesem neuen Image. Er hatte Jünger und unterrichtete sie in Meditation und dem Vierfach Geheiligten Weg. Im Gegenzug hielten sie die Zimmer für ihn sauber und kochten Gerichte, in denen Linsen eine führende Rolle spielten.
Dies war sein neues Ich, und vielleicht konnte man es als Rolle in einem Stück beschreiben, in dem Schwestern und Brüder und heilige Mütter die Genossen ersetzten. Sein altes Ich kam manchmal wieder zum Vorschein, wenn andere Besucher, Genossen von früher kamen, um in Erinnerungen zu schwelgen, als hätte es das große Scheitern der Sowjetunion nie gegeben, als marschierte dieses Imperium noch immer. Alte Männer, alte Frauen, deren Leben der große Traum erleuchtet hatte, saßen herum und tranken Wein in einer Atmosphäre, die ganz ähnlich war wie an jenen kampfeslustigen Abenden vor langer Zeit, bis auf eines: Sie rauchten nicht mehr, während man früher kaum von einem Ende des Zimmers zum anderen hatte sehen können, wegen des Rauchs, der durch ihre Lungen gezogen war.
Spät, bevor die Gäste gingen, senkte Johnny gewöhnlich die Stimme und hob sein Glas und brachte einen Toast aus: »Auf ihn.«
Und mit zärtlicher Bewunderung tranken sie auf den vielleicht grausamsten Mörder, der je gelebt hat.
Es heißt, dass sich noch Jahrzehnte nach Napoleons Tod alte Soldaten in Tavernen und Bars oder heimlich in ihren armseligen Hütten trafen und die Gläser auf
jenen anderen
hoben: die wenigen Überlebenden der Grande Armée (deren Heldentaten absolut nichts bewirkt hatten, bis auf die Vernichtung einer Generation), Krüppel, deren Gesundheit dahin war und die unaussprechliches Leid erlebt hatten. Aber gleichviel, es ist immer
Der Traum
, der zählt.
Johnny hatte noch eine Besucherin, Celia, die an der Hand von Marusha oder Berta oder Chantal hinunterkam und auf Johnny zurannte. »Armer kleiner Johnny.«
»Das ist dein Großvater! So kannst du ihn doch nicht nennen.«
Das Feenkind nahm keine Notiz davon, streichelte den alten, zur Einsicht gekommenen Kopf, küsste ihn und sang ihr kleines Lied: »Das ist mein kleiner Großvater, das ist mein armer kleiner Johnny.«
Die Verbindung von Colin und Sophie hatte ein seltenes Wesen hervorgebracht: Jeder konnte das spüren. Die Großen, William und Clever und Zebedee, spielten ganz zart mit ihr, beinahe demütig, als wäre das ein Privileg, ein Gefallen, den sie ihnen tat.
Oder sie saßen alle am Tisch, beim Abendessen, das sich ewig hinziehen konnte, Rupert und Frances, Colin und William, Clever und Zebedee und ziemlich oft auch
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