Ein süßes Abenteuer
sich auf der Suche nach Belinda in Gefahr begab. Aber das konnte sie Isabella schwerlich erklären, also besuchte sie ihrer Gesellschafterin zuliebe das Fest. Im Augenblick tranken die Damen im Großen Salon Tee, während die Herren sich noch im Speisezimmer an Portwein, Brandy und Zigarren gütlich taten.
“Nein, ich fühle mich bloß ein wenig müde”, erwiderte sie endlich.
Isabella betrachtete sie nachdenklich, denn Müdigkeit sah ihrem temperamentvollen Schützling so gar nicht ähnlich. “Dann schlage ich vor, wir verabschieden uns bald, damit du früh schlafen gehen kannst.”
Noch während sie sprach, widerfuhr Diana ein sonderbares Erlebnis. Plötzlich verschwamm alles um sie herum. Finsternis umfing sie, und wie aus heiterem Himmel überkam sie das Gefühl, als lauerten überall unsichtbare Feinde, als drohte irgendeine schreckliche Gefahr. Langsam schwanden ihr die Sinne.
Lady Leominster, die gerade auf sie zukam, bemerkte ihr Schwanken. “Fangen Sie die Duchess auf, Mrs. Marchmont!”, herrschte sie Isabella an. “Sie fällt in Ohnmacht!”
Rasch packte Isabella die junge Frau bei den Schultern, richtete sie auf und bettete sie auf das Sofa, auf dem sie beide saßen. Alles Blut war aus Dianas Antlitz gewichen. Nach einer Weile schlug sie die Augen auf und sah zu Isabella und Lady Leominster empor.
“Bitte entschuldigen Sie, dass ich Ihnen solche Umstände mache”, hauchte sie mit schwacher Stimme. “Mir wurde auf einmal schwarz vor Augen.”
Dass sie darüber hinaus eine drohende Gefahr spürte, erwähnte sie nicht, da es allzu lächerlich geklungen hätte. Dennoch ließ dieses Gefühl sie nicht los.
“Die Hitze”, verkündete Lady Leominster. “Es muss an der Hitze liegen. Wie oft habe ich den Butler schon dafür getadelt, dass er den Salon überheizt! Sie brauchen jetzt frische, kühle Luft.”
Da Diana nun zu zittern begann, änderte sie prompt ihre Meinung. “Würde bitte irgendjemand der Duchess einen Schal holen? Auf der Stelle!”, wandte sie sich im Befehlston an die Umstehenden.
Eine Matrone nahm ihren eigenen Schal ab und trat herbei, um ihn ihr um die Schultern zu legen. “Es tut mir ja so leid, dass ich so viel Wirbel verursache”, seufzte Diana. “Es geht mir schon wieder besser.”
Das stimmte nicht ganz. Zum einen plagten sie Kopfschmerzen, und zum anderen beschäftigte sie die weit gewichtigere Frage, was um alles in der Welt ihre sonderbare Angst ausgelöst haben könnte. Sie neigte doch sonst nicht zu Ohnmachtsanfällen. Steckte vielleicht ihre Sorge um Neville dahinter?
Schwebte er in Gefahr? Und wenn ja, hatte sie das tatsächlich gespürt? Nein, unmöglich! Schließlich war sie keine Figur aus einem Schauerroman, sondern die nüchterne, bodenständige Dowager Duchess of Medbourne, die von ihrem Gatten gelernt hatte, frivolen Mystizismus zu verachten. So hatte Charles den Glauben an ungewöhnliche oder übernatürliche Erscheinungen nämlich immer genannt. Und doch … Nein, am besten dachte sie gar nicht weiter daran.
Nachdem sie ein Glas Wasser getrunken und eine Weile lang die Fürsorglichkeit der Umstehenden erduldet hatte, fuhr sie mit Isabella nach Hause. Sie würde erst zur Ruhe kommen, wenn sie erfuhr, dass Neville sich in Sicherheit befand und dass es ihm gut ging.
Entgegen Dianas Hoffnung befand sich Neville weder in Sicherheit, noch ging es ihm gut. Gemeinsam mit Lem und Belinda war er so leise wie möglich die Hintertreppe hinuntergeeilt, um aus Madame Josettes Etablissement zu entkommen.
Unten gelangten sie in einen kleinen Raum mit zwei Türen, von denen eine offenbar zur Rückseite des Hauses hinausging. Neville wollte sich schon zu ihrer erfolgreichen Flucht beglückwünschen, da ertönten plötzlich aus dem oberen Stockwerk Schreie. Gleichzeitig platzte ein bulliger Türwächter ins Zimmer.
“Was zum Teufel tun Sie da?”, brüllte der Mann, sobald er sie erblickte. Dann versetzte er Neville einen derart heftigen Schlag ins Gesicht, dass dieser zurücktaumelte.
“Lauf, mein Junge, lauf!”, rief Neville Lem zu. Laut ihrem Plan sollte, falls einer von ihnen ergriffen wurde, der andere sofort mit Belinda das Weite suchen. Was dieser auch sofort tat.
Glücklicherweise lenkte der Lärm im Obergeschoss den Schläger vorübergehend ab, daher gelang es auch Neville, zur Hintertür hinauszustürzen. Auf der Gasse hinter dem Haus konnte er das junge Paar schon nirgends mehr sehen. Er hoffte nur, dass sie wohlbehalten die belebte Gegend um den
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