Ein süßes Abenteuer
ungeduldig wurde.
“Heraus mit der Sprache. Wir können nicht den ganzen Tag warten, bis Sie sich endlich entscheiden, welchen Decknamen Sie heute benutzen wollen.”
“Ich heiße Sir Neville Fortescue, wie Sie selbst feststellen können, wenn Sie mich genauer ansehen.”
“Wie bitte?” Empört warf Sir Stanford seine Schreibfeder auf den Tisch. “Wie können Sie es wagen, so etwas zu behaupten!”
“Es stimmt”, beharrte Neville. “Wenn ich etwas näher treten dürfte, würden Sie erkennen, dass ich die Wahrheit sage.”
Nach kurzem Überlegen griff Sir Stanford wieder nach seiner Feder und deutete damit auf Neville. “Konstabler, lassen Sie ihn vortreten.”
Als er das schmutzige, zerschlagene Gesicht des Gefangenen aus der Nähe betrachtete, musste er einsehen, dass es sich in der Tat um Sir Neville Fortescue handelte. Falls Neville jedoch erwartete, dass er nun auf der Stelle freikommen würde, irrte er sich gründlich.
“Nun, Sir, möchte ich gerne wissen, wie Sie in die Lage geraten konnten, in der Beagle Sie vorgefunden hat.”
Es half alles nichts, Neville musste Sir Stanford zumindest einen Teil der Ereignisse des vergangenen Abends schildern. “Ich wurde überfallen, während ich ruhig und friedlich spazieren ging. Dabei wurden mir auch alle Wertsachen gestohlen.”
“Nach dem Bericht des Nachtwächters kann ich mir nicht vorstellen, dass Sie ruhig spazieren gingen – oder auch nur ruhig herumtorkelten. Kann denn niemand Ihre Aussage bestätigen?”
Niemand außer Lem, und den wollte Neville nicht in diese Verhandlung mit hineinziehen. “Leider nein”, antwortete er.
“Wie schade”, bemerkte der Richter streng. “Damit bringen Sie mich in eine Zwickmühle, immerhin genießen Sie den Ruf eines überaus aufrechten, ehrbaren Bürgers. Wie es scheint, verdienen Sie diesen Ruf jedoch nicht. Ihr hoher moralischer Anspruch wurde durch Ihre Festnahme als Heuchelei entlarvt. Wenn Sie ein armer Schlucker wären, wie die meisten Männer hier auf der Anklagebank, würde ich nicht zögern, Sie in eine Besserungsanstalt zu stecken. Doch angesichts Ihres Ranges und Ihres Vermögens gehört sich eine solche Strafe natürlich nicht, also frage ich mich wirklich, welches Urteil ich in Ihrem Fall verkünden soll.”
Er lehnte sich zurück und dachte eine Weile lang nach, die Hände wie im Gebet gefaltet.
“Meiner Ansicht nach”, erklärte er schließlich mit ernster Miene, “bedeutet der Verlust Ihres guten Rufes an sich schon eine angemessene Strafe. Sie stehen nun vor der ganzen Gesellschaft als Trunkenbold, als Lügner und vor allen Dingen als Heuchler da. Das sollte genügen.”
Somit kam Belindas Rettung ihn teuer zu stehen. Um es schonungslos auszudrücken, er hatte seinen Namen ebenso stark besudelt wie seine Kleidung.
Dabei wusste er noch nicht einmal, ob Lem das Mädchen in Sicherheit gebracht hatte. Er konnte es bloß hoffen.
6. KAPITEL
E s wurde Morgen, doch Sir Neville kam nicht nach Hause. Die ganze Nacht über hatte Lem aus Angst um seinen gütigen Herrn kein Auge zugetan.
Nach dem Frühstück beschloss er, wie vorgesehen mit Belinda die Duchess in ihrer Stadtresidenz aufzusuchen. Im Voraus war vereinbart worden, dass das junge Mädchen London umgehend verlassen musste, falls die Rettung gelang. Um ihrer eigenen Sicherheit willen sollte Belinda nach Medbourne Castle fahren, wo die Entführer sie nicht finden konnten, auch wenn sie und Lem einander schrecklich vermissen würden.
An diesem Morgen ging es Diana trotz ihrer rätselhaften Unpässlichkeit vom vergangenen Abend wieder viel besser. Sie saß noch bei einem späten Frühstück, als ihr Butler ins Zimmer trat.
“Bitte verzeihen Sie die Störung, Euer Gnaden. Gerade ist ein junger Mann namens Lemuel Banks eingetroffen, in Begleitung einer verschleierten jungen Frau, deren Namen er mir nicht nennen wollte. Er möchte Sie unbedingt persönlich sprechen, um Ihnen eine Nachricht von Sir Neville Fortescue zu überbringen. Soll ich ihn fortschicken?”
Lemuel Banks! So hieß doch Belindas Verehrer! Doch sie durfte sich nicht allzu hastig bereit erklären, ihn zu empfangen, schließlich wusste sie, wie gern ihre Dienstboten tratschten. Also tat sie, als würde sie kurz überlegen, bevor sie sich entschied. “Ach, bringen Sie ihn ruhig herein. Vielleicht hat Sir Neville mir etwas Wichtiges mitzuteilen.”
“Sehr wohl, Euer Gnaden.”
Voller Ungeduld wartete Diana, bis der Butler Mr. Banks und seine namenlose
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