Ein süßes Abenteuer
einzumischen. Da sie jedoch nicht versucht hatte, Neville seinen Rettungsversuch auszureden, fühlte sie sich für sein Unglück verantwortlich.
Zuallererst sprach sie mit ihrer Haushälterin und gab dann Anweisung, ihre Karriole aus dem Stall zu holen. Danach zog sie sich auf ihr Zimmer zurück, um sich zum Ausgehen bereit zu machen. Ohne die Hilfe ihrer Zofe vertauschte sie ihr Kleid gegen die Männerkleider und die Stiefel, die sie bei den Ausritten mit ihrem verstorbenen Gatten immer getragen hatte. Abschließend setzte sie einen kleinen Reithut auf, wobei sie im Stillen die gegenwärtige Mode segnete, die es den Frauen gestattete, ihr Haar kurz zu tragen.
In dieser Aufmachung begab sie sich wieder ins Frühstückszimmer, wo Lem inzwischen allein auf sie wartete.
“Wir nehmen meine Karriole. Übrigens wirst du mir den Weg zu Sir Nevilles Haus beschreiben müssen.”
“Wollen Sie etwa selbst kutschieren?”, fragte Lem verblüfft.
“Warum nicht? In demselben Fahrzeug und in derselben Kleidung habe ich auch meinen verstorbenen Gatten spazieren gefahren. Jeder wird mich für einen jungen Stutzer halten, der mit einem Freund frische Luft schnappt. Komm, wir dürfen keine Zeit verlieren.”
Am späten Vormittag kam Neville endlich nach Hause. Ein Gerichtsdiener hatte ihm nach der Verhandlung eine Droschke gerufen und ihm im Auftrag Sir Stanfords eine großzügige Summe Fahrgeld gegeben.
Da man ihm nicht nur seine Börse, sondern auch seinen Schlüssel gestohlen hatte, musste er ein Fenster einschlagen, um ins Haus zu gelangen. In Gedanken nahm er sich vor, alle Schlösser auswechseln und die Fenster absichern zu lassen. Niemand war zu Hause, was ihn ziemlich beunruhigte. Hatten Lem und Belinda es am Ende doch nicht geschafft, Giles zu entkommen? Nur der Umstand, dass er dringend seine schmutzigen Kleider wechseln und ein Bad nehmen musste, lenkte ihn fürs Erste davon ab, sich allzu große Sorgen zu machen.
Sobald er bis auf die blauen Flecken in seinem Gesicht wieder aussah wie vor seinem jüngst überstandenen Abenteuer, begab er sich in die Küche, um etwas Wasser zu trinken. Essen kam im Augenblick noch nicht infrage. Schon bei dem Gedanken wurde ihm förmlich übel, obwohl er schon beinahe keine Kopfschmerzen mehr verspürte. Nun, da er wieder einigermaßen klar denken konnte, dämmerte ihm allmählich, wie die Ereignisse der vergangenen Nacht sich auf seinen bislang makellosen Ruf auswirken würden.
Ein Heuchler! Sir Stanford hatte ihn als Heuchler bezeichnet, aber darum scherte er sich herzlich wenig. Ob er Belinda nun gerettet hatte oder nicht, er würde dem schändlichen Mädchenhandel einen Riegel vorschieben. Oder ihn zumindest bekämpfen. Bei seinem nächsten Treffen mit Jackson würde er eine Erklärung fordern, weshalb die zuständigen Ordnungshüter vor diesen Verbrechen die Augen verschlossen.
Kaum hatte er diesen Entschluss gefasst, da drangen von der Auffahrt Geräusche an sein Ohr. Als er ans Fenster trat, sah er, wie Lem in einem Phaeton vorfuhr, der von einem fremden Jüngling gelenkt wurde. Direkt vor seinem Haus hielten sie an, und Lem stieg aus, um die Pferde zum Stall im Hinterhof zu führen. Doch wo steckte Belinda?
Neville konnte es kaum erwarten, endlich zu erfahren, wie es dem jungen Paar ging. Voller Ungeduld eilte er hinaus, gerade rechtzeitig, um Lem mit den Pferden zu helfen. Sobald dieser seinen Herrn erblickte, glitten ihm beinahe die Zügel aus der Hand.
“Oh Sir! Sie leben noch! Aber wie diese Schurken Sie zugerichtet haben!”
“Halb so schlimm”, erwiderte Neville kurz angebunden. “Darüber reden wir später. Kümmern wir uns zuerst um die Pferde und bringen wir den Fahrer in die Küche”, fügte er hinzu, indem er dem fremden jungen Mann eine Hand reichte, um ihm beim Absteigen zu helfen.
“Das geht nicht, Sir. Unmöglich.”
Ehe Neville nachfragen konnte, was Lem damit meinte, lüftete der Kutscher seinen Hut und erklärte: “Nein, Sir Neville, ich muss darauf bestehen, dass Sie mich nicht in die Küche schicken.”
Diana! Vor ihm stand Diana in Männerkleidern, vollständig ausstaffiert mit Hut, Reitrock, Breeches und Stiefeln! Ein höchst unschicklicher Aufzug für eine Dame.
Nicht dass ihn das störte. Ganz im Gegenteil, wenn sie ihn so schelmisch anlächelte, sehnte er sich schrecklich danach, sie in seine Arme zu schließen und … Nein, an so etwas durfte er gar nicht erst denken. “Was um alles in der Welt hat das zu bedeuten?”, entfuhr es
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