Ein süßes Abenteuer
Verehrern belagert wurde. Solange sich so viele Herren um sie scharten, wollte Neville sie nicht ansprechen.
Mit einem Glas Wein in der Hand zog er sich allein in eine Nische zurück, in der Miniaturen von verschiedenen Mitgliedern der Familie Templestowe hingen. Eine Weile lang betrachtete er die Bilder, da hörte er plötzlich, wie von hinten jemand auf ihn zukam. Als er sich umdrehte, sah er sich Sir Stanford Markham gegenüber.
“Hier stecken Sie also, Fortescue”, sagte der Richter mit einem frostigen Lächeln. “Ich dachte mir schon, dass Sie heute Abend kommen würden. Hoffentlich haben Sie sich inzwischen von Ihrem … äh … Missgeschick erholt. Ein äußerst unglücklicher Zufall, dass wir uns an jenem Morgen unter diesen Bedingungen begegnen mussten.”
Von wegen Zufall! Neville zweifelte keine Sekunde daran, dass Sir Stanford absichtlich die Leitung jener Verhandlung übernommen hatte. Nach kurzem Zögern antwortete er: “Unglücklich für mich und nicht so sehr für Sie, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf. Danke, es geht mir gut, aber ich war ja auch niemals krank.”
Sir Stanford zog die Augenbrauen hoch. “An dem Morgen sahen Sie jedenfalls gar nicht gut aus. Nun, wenn Sie sich blindlings in gefährliche Situationen begeben, müssen Sie die Folgen eben in Kauf nehmen. Beim nächsten Mal, fürchte ich, werden nicht nur Sie allein zu leiden haben. Sicher wünschen Sie nicht, dass Ihre Mutter zum Gegenstand eines Skandals wird, und Lord Burnside dazu. Falls die Wahrheit über die beiden ans Licht kommt, könnte das ihren guten Ruf ruinieren. Halten Sie sich zurück, dann wird alles gut.”
“Drohen Sie mir etwa?”, stieß Neville blass vor Zorn hervor. “Ich glaube Ihnen ohnehin kein Wort!”
“Sie werden bald feststellen, wie viel Wahrheit darin steckt, wenn Sie weiterhin mit diesem ehemaligen Bow Street Runner zusammenarbeiten. Sehen Sie sich vor – mehr habe ich Ihnen nicht zu sagen.” Mit diesen Worten entfernte der Richter sich lässig.
Im ersten Moment drängte es Neville, ihm nachzueilen und ihn am Kragen zu packen, bis er seine erpresserische Lüge zurücknahm. Aber damit hätte er bloß für einen Eklat gesorgt, noch dazu im Hause seines besten Freundes. Wie konnte Sir Stanford die Ehre seiner Mutter und Lord Burnsides in Zweifel ziehen? Wollte er vielleicht sogar andeuten, Burnside sei in Wirklichkeit sein Vater? Unmöglich! Und doch … es würde so vieles erklären.
Beispielsweise die Tatsache, dass er Sir Carlton Fortescue sowohl im Aussehen als auch im Verhalten so wenig ähnelte. Hatte Alex Templestowe ihn deswegen so sonderbar angesehen, als er sich mit seinem Vater verglich? Nahm Burnside deswegen so großen Anteil an seiner politischen Laufbahn?
Trotz allem konnte er sich kaum vorstellen, dass seine Mutter mit ihren strengen Moralvorstellungen sich je zu einer außerehelichen Affäre hätte hinreißen lassen. Im Gegenteil, sie beklagte oft den Sittenverfall in der Gesellschaft. Nur handelten die Menschen natürlich nicht immer nach ihren eigenen Grundsätzen, nicht einmal seine Mutter. Plötzlich entsann er sich, wie sie bei ihrem letzten Besuch, als sie ihm wegen seiner einmaligen Eskapade Vorwürfe machte, höchst aufgewühlt betont hatte, wie sehr er seinem Vater gleiche.
Zumindest hatte Sir Stanford mit seiner offenen Drohung ein für alle Mal die Maske fallen lassen. Nun stand ohne Zweifel fest, dass er zu den Entführern gehörte und dass er und seine Mittäter befürchteten, er und Jackson könnten ihre Verbrechen aufdecken. Daher übte er Druck auf ihn aus, damit er die Verfolgung aufgab.
Voller Bitterkeit gestand Neville sich ein, dass ihm unter Umständen nichts anderes übrig blieb. Er wollte keinesfalls einen Skandal hervorrufen, der seine Mutter und Lord Burnside ruinieren würde. Gerade weil beide ein so anständiges Leben führten, würde man sie sofort als Heuchler oder gar Schlimmeres brandmarken.
Ihm schwirrte der Kopf. In seiner Not erwog er, den Empfang zu verlassen, da sah er Diana auf sich zukommen. Was würde sie von ihm denken, falls er die Ermittlungen abbrach? Nicht einmal ihr wagte er von Sir Stanfords Andeutungen über seine Mutter zu berichten.
“Retten Sie mich vor Henry Latimer”, rief Diana in gespielt theatralischem Ton. “Ob Sie es glauben oder nicht, er beginnt schon wieder mit seinen Annäherungsversuchen. Vorhin meinte er zu mir, er wolle die Sache von neulich ausbügeln. Ich antwortete ihm, ich hätte zwar noch nie
Weitere Kostenlose Bücher