Ein süßes Abenteuer
doch ehe er die Tür erreichte, rief sie: “Neville! Ich hätte dir den Namen deines wahren Vaters nennen müssen, als du volljährig wurdest. Damals fehlte mir der Mut dazu, und nun scheint es, als müsste ich einen teuren Preis für meine Feigheit zahlen.”
“Eines versichere ich dir, Mutter”, entgegnete er mit entschlossener Miene. “Falls irgendjemand ein böses Wort über dich sagt, werde ich denjenigen so hart bestrafen, dass er es sein Lebtag nicht vergessen wird.”
Spätestens jetzt hatte Lady Fortescue die Gewissheit, dass der rohe, feige Sir Carlton nicht den geringsten Einfluss auf ihren Sohn ausgeübt hatte. Ganz im Gegenteil.
“Deine Tante Susan und ich würden uns freuen, wenn du bei uns übernachten könntest”, meinte sie zaghaft. “In letzter Zeit sehen wir dich so selten.”
“Natürlich”, willigte er ein. Ihm fiel auf, dass seine Mutter ihn seit ihrem Geständnis völlig anders behandelte als bisher. Endlich schienen sie einander wirklich nahezustehen, daher wünschte er, er hätte die Wahrheit schon viel früher erfahren.
Lieber spät als nie. Um ihretwillen freute er sich, dass sie diese Last nicht mehr tragen musste.
“Ja, du bist mein Sohn. Ich bedaure bis heute, dass ich dich nicht aufziehen konnte, aber ich musste schließlich auf deine Mutter Rücksicht nehmen.”
Neville verzichtete darauf, seinem Vater die Frage zu stellen, die sich ihm seit seinem Aufbruch vom Haus seiner Tante in Surrey aufdrängte: Warum hast du sie nicht geheiratet, als Sir Carlton starb?
Als könnte er Gedanken lesen, wandte sich Lord Burnside vom Fenster seines Arbeitszimmers ab und erklärte: “Als Kind sahst du haargenau so aus wie ich in meiner Jugend, und die Ähnlichkeit wurde mit den Jahren immer auffälliger. Deswegen konnte ich deine Mutter nach Sir Carltons Tod unmöglich zur Frau nehmen – dadurch hätte ich sie bloß bösartigem Gerede ausgesetzt.”
Und ich? Ich stand mein Leben lang unter einem gewaltigen Druck, dachte Neville. Ständig musste ich befürchten, eines Tages ein elender Wüstling wie Sir Carlton zu werden, wenn ich mich nicht vorsah. Dabei habe ich in Wirklichkeit einen Vater, auf den ich stolz sein kann!
Doch anstatt dies laut zu äußern, fragte er um Rat, ob er seinem Erpresser die Stirn bieten sollte oder nicht.
“Was meint deine Mutter dazu?”, erkundigte sich Lord Burnside.
“Ungefähr dasselbe, was der Duke of Wellington gesagt haben soll, als die Kurtisane Harriette Wilson ihn zu erpressen versuchte: Gehen Sie damit an die Öffentlichkeit und fahren Sie zur Hölle.”
“Dann muss Emily sich seit unserer Zeit sehr verändert haben.”
“Ja. Inzwischen plagen sie Zweifel, ob sie damals wirklich bei ihrem Gatten hätte bleiben sollen, nur damit ich als ehelich geborenes Kind aufwachsen konnte.”
“In der Tat. Dafür hat sie sogar seine Misshandlungen ertragen.”
“Wie lautet nun deine Antwort?”
“Wenn deine Mutter den Skandal nicht scheut, dann tue ich es auch nicht. Könntest du mir vielleicht erzählen, für welche Sache du dich einsetzt? Ich möchte gerne wissen, weshalb sie dir so am Herzen liegt.”
“Leider habe ich geschworen, darüber zu schweigen, nicht so sehr um meiner eigenen Sicherheit willen, sondern zum Schutz meiner Mitstreiter. Dennoch versichere ich dir, dass du sie gutheißen würdest.”
“Weiß Emily Bescheid?”
“Nein, aber sie vertraut mir.”
Nun erfüllte Neville den Auftrag seiner Mutter und gab seinem Vater ein Buch zurück, das dieser ihr einst zum Abschied geschenkt hatte.
Als Lord Burnside es aufschlug, bemerkte er, dass auf der ersten Seite etwas von Hand geschrieben stand. “Hast du das gelesen, Neville?”
“Nein. Es geht mich nichts an.”
“Sie lädt mich zu einem Besuch ein. Was hältst du davon, mein Sohn?”
“Die Entscheidung liegt ganz bei dir, Vater. Aber wenn du meine Meinung hören möchtest, spricht alles dafür, die Einladung anzunehmen.”
Da hellte sich Lord Burnsides Miene auf. “An deiner Stelle hätte ich in dieser Situation dasselbe gesagt.”
“Mit Verlaub, Vater, eine Situation wie diese ergibt sich nicht oft”, erwiderte Neville schmunzelnd.
“Nein, das stimmt. Jedenfalls danke ich dir für deine Antwort. Nur noch eines: Darf ich fragen, wer dich erpresst?”
“Nein, auch das kann ich dir nicht sagen. Der Betreffende kennt euch beide und hat guten Grund zu der Annahme, dass sein Plan aufgehen wird.”
“Und da irrt er sich gründlich, weil wir einen aufrechten,
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