Ein süßes Abenteuer
Viertel herumlungerten.
Neville bot einen ebenso zwielichtigen Anblick. Statt seiner üblichen tadellosen Krawatte hatte er ein schmuddeliges blau und rot gepunktetes Halstuch umgebunden. Damit seine Verkleidung noch ein wenig echter wirkte, trug er eine schwarze Augenklappe. Vor dem Treffen hatte er sich zu Hause im Spiegel betrachtet und festgestellt, dass er dem Mann, der ihm da entgegenblickte, nicht gerne auf der Straße begegnen wollte. Lieber würde er davonlaufen, als sich mit ihm einzulassen.
Dennoch durchschaute Jackson seine Tarnung auf Anhieb und winkte ihn herbei.
“Wie haben Sie mich in dieser abscheulichen Aufmachung erkannt?”, erkundigte sich Neville.
“An Ihrem Gang und Ihrer Haltung”, erklärte Jackson grinsend. “Wenn Sie mich auf Verbrecherjagd begleiten, sollten Sie die Schultern hängen lassen und vor sich hin schlurfen und nicht daherstolzieren wie ein Herzog.”
Neville lachte. Wie viele Abenteuer dieser Art würde er wohl noch erleben? Erstaunlicherweise machten sie ihm Spaß. Was für ein langweiliges Leben er doch geführt hatte, bevor er rein zufällig mit Jacksons Welt in Berührung geriet!
“Wird unser Mann bald kommen?”
“Ja, keine Sorge. Er ist keine so leichte Beute wie mein erster Informant – in keiner Hinsicht. Setzen Sie sich, trinken Sie das Ale, das ich Ihnen bestellt habe.”
Schmunzelnd gehorchte Neville. Seit seiner Kindheit hatte ihm niemand mehr Anweisungen gegeben. Für gewöhnlich erteilte er die Befehle und erwartete auch, dass sie befolgt wurden. Nun konnte er nachvollziehen, wie Diana sich fühlen musste, wenn er ihr Vorschriften machte.
Irgendwie schaffte er es, das widerwärtige Gebräu ohne Würgen hinunterzuschlucken, während Jackson ihn amüsiert beobachtete. Glücklicherweise kam in diesem Augenblick ein Mann mit einer Figur wie ein Fass an ihren Tisch, der den Ermittler wie einen alten Bekannten begrüßte. So konnte Neville seinen Krug wieder absetzen.
“Wen haben Sie denn da mitgebracht?”, erkundigte sich das Fass und rieb seine Hände an seinem Wams.
“Bloß einen Freund, der mir hin und wieder mal hilft. Sehr nützlich.”
“So tüchtig sieht er gar nicht aus”, meinte das Fass und setzte sich zu ihnen.
“Der Schein trügt. Ned Springer – Thad Newman”, stellte Jackson vor. “Thad hat einmal gegen Gentleman Jackson gekämpft.”
“Und verloren”, ergänzte Newman jovial. “Wie kommen Sie zu Ihrer Augenklappe?”
“Durch einen Streit mit einem Burschen, der eine zugespitzte Eisenstange schwang, während ich mich nur mit einem Ast verteidigen konnte. Auch ich habe verloren.”
Als Jackson diesen Unsinn hörte, schaute er völlig fassungslos drein – ein denkwürdiger Anblick. Neville staunte selbst über seine blühende Fantasie, zumal Newman seine Erklärung anstandslos akzeptierte.
“Sie waren mal ein richtiger Gentleman, stimmt’s?”
“Früher. Bis mich die Spielleidenschaft gepackt hat.”
Woher nahm er diese Antworten? Warum konnte der brave, vorsichtige Sir Neville Fortescue plötzlich solch hanebüchene Lügenmärchen erzählen, ohne mit der Wimper zu zucken?
Nachdem auch Thad einen Krug Ale erhalten hatte, unterbrach er sein Gespräch mit Neville, um einen großen Schluck von dem ekelhaften Zeug zu trinken.
“Also, wo soll ich beginnen?”, wandte er sich anschließend an Jackson.
“Am Anfang”, erwiderte dieser trocken.
“Latimer, der Mann, den ich für Sie beschatte, hat es wirklich faustdick hinter den Ohren. Geht ins Coal Hole und spaziert einfach wieder zum Hintereingang hinaus. Zuerst hat er mich ein-, zweimal abgehängt, bis ich sein Spiel durchschaut habe. Danach begibt er sich zu einem feinen Haus in der Nähe des Strandes. Dort bleibt er aber nicht lange, sondern macht sich bald zu Madame Josettes Etablissement auf, das er durch die Hintertür betritt. Ein Freund von mir, der für Madame arbeitet, hat mir erzählt, dass sich jeden Dienstag ein paar Herren in einem Zimmer im ersten Stock treffen. Ihnen wird etwas zu essen und zu trinken hinaufgebracht, und am Ende verlassen sie das Bordell einzeln, niemals gleichzeitig. Bis jetzt kenne ich weder ihre Namen, noch weiß ich, zu welchem Zweck sie sich dort versammeln. Keine Frauen, kein Lärm. Möglicherweise nimmt auch Latimer an den Sitzungen teil.”
Als er eine Pause machte, warf Jackson ein: “Und Madame Josette? Kommt sie auch dazu?”
“Nein, die nicht.”
“Haben Sie diese Herren selbst gesehen?”, erkundigte sich
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