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Ein Tag im Maerz

Ein Tag im Maerz

Titel: Ein Tag im Maerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Thompson
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Kätzchen von einer hohen, rutschigen Dachrinne zu locken. Die andere Hand hielt er beiläufig in der rechten Hosentasche seiner Jeans, und auf seinem T-Shirt stand der Slogan »Work Hard, Canoe Home«.
    Blödmann, dachte sie und spielte mit ihrem Haar.
    Bryony versuchte etwas zu sagen, doch sie bekam kein Wort heraus. Angesichts dessen, wie wenig die ganze Sache sie interessierte, war sie doch ganz schön eingeschüchtert. Sie blickte in ihren Schoß; aller Augen waren auf sie gerichtet, und damit kam sie nicht zurecht. Bryony fragte sich, ob sie sich ganz in ihr weißes Kleid von French Connection verkriechen und so tun könnte, als wäre sie ein missgestaltetes Kissen.
    »Hallo, alle zusammen.« Der Klang ihrer Stimme überraschte sie selbst.
    »Hallo«, antworteten alle gemeinsam, und Bryony zuckte leicht zusammen. Es hatte sich angehört wie ein Chor von einem fremden Planeten.
    »Gut, also, ich bin B…   – ich meine, ich bin Mel, und ich wohne im Norden Londons.« In letzter Sekunde gab sie sich einen falschen Namen, nur zur Sicherheit.
    »Okay, hallo, Mel.« Sol breitete freudig die Arme aus und hopste ein bisschen auf den ausgetretenen Bodenbohlen herum.
    Brrr. Bryony sagte nichts und starrte ihn leer an.
    »Und könntest du uns sagen, wieso du hier bist? Was dich zu uns führt?«
    Auweia, dachte sie. Viel Zeit lassen die sich hier nicht, was? Als Nächstes redeten sie wahrscheinlich über ihre Krankengeschichte und ihre Körbchengröße. Doch Bryony holte tief Luft und dachte: Los geht’s. Innerlich stellte sie die Füße an den Rand des Felsvorsprungs und machte sich zum Sprung bereit. »Also   … mein Freund starb; genauer gesagt, wurde er ermordet, und ich habe damit zu kämpfen, obwohl es schon eine ganze Weile her ist. Meine Mum hielt es für eine gute Idee, dass ich hierher- komme.« Sie blickte auf ihren Schoß und kam sich vor wie ein kleines Kind. Meine Mum hielt es für eine gute Idee.
    »Okay. Danke, dass du das mit uns teilst. Wir alle heißen dich willkommen. Wir freuen uns, dich hier zu sehen, Mel«, sagte Sol mit einem strahlenden Lächeln, ehe er sich auf dem Absatz umdrehte und der jungen Asiatin die gleiche Frage vorlegte.
    Bryony fragte sich, ob sie überhaupt reden konnte. Als sie einen Stuhl gereicht bekam, hatte sie nichts gesagt; auf das Angebot einer Tasse Tee hatte sie nur genickt; und als der Mittelschichtmann ihr versehentlich auf den Zeh trat, hatte sie ebenfalls geschwiegen, während er sich überschwänglich entschuldigte bei einem stummen Opfer, das nur ein feuchtes Glänzen in den Augen hervorbrachte und nicht die Kette von Kraftausdrücken, die der Schmerz eigentlich gerechtfertigt hätte.
    Das Ticken einer großen weißen Uhr, die wacklig über einem abgenutzten Klavier hing, war deutlich zu hören, als die junge Frau schluckte und dann endlich zu reden begann, aber feststellte, dass ihr genau wie Bryony die Stimme stockte.
    »Ich bin Mai. Ich bin hier, weil meine Mutter vor fünf Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist.«
    Augen wurden mitfühlend zusammengekniffen, als sie sprach, Fäuste geballt, Rücken gestrafft. Bryony fühlte sich augenblicklich schlecht, weil sie von »einer ganzen Weile« gesprochen hatte, obwohl ihr Verlust noch kein Jahr zurücklag. Direkt darauf folgte das unvermittelte Begreifen, dass man auch nach fünf Jahren noch genügend leiden konnte, um auf eine Möglichkeit wie diese Gruppe zurückzugreifen. Es brachte Bryony zum Frösteln. Es flößte Bryony eine Übelkeit erregende Angst vor der Zukunft ein.
    »Okay, vielen Dank, dass du es mit uns teilst, Mai. Es ist schön, dich kennenzulernen«, sagte Sol, ehe er sich ein paar Grad nach rechts drehte und das letzte neue Mitglied, die gut angezogene Farbige, ansprach, die eine hellblaue Bluse und schwarze Jeans trug.
    »Könntest nun du uns etwas über dich erzählen?«, bat Sol und wies auf die Frau, die sich bereits jetzt mit einem Papiertaschentuch die Tränen abwischte.
    Um Gottes willen, dachte Bryony und befürchtete, dass es doch eine furchtbar schlechte Idee gewesen war, herzukommen. Sie hatte zu viele eigene Tränen in sich, um irgendetwas auf die Sorgen anderer Leute zu geben. Hör auf, so selbstsüchtig und zynisch zu sein, beschwor sie sich.
    »Ich heiße Sharon und wohne in Wandsworth. Ich   … äh   … ich fühle mich ehrlich gesagt noch nicht imstande, von demzu sprechen, was mir passiert ist.« Eine bedeutungsvolle Pause folgte. »Ich möchte nur hier sitzen, den

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