Ein Tag im Maerz
immer verändert hatte.
Die Frau kam um die letzte Biegung der Treppe und stand Bryony von Angesicht zu Angesicht gegenüber.
Bryony neigte den Kopf und lächelte, überrascht, wie schön die Frau war. Ihr kurzes braunes Haar glänzte im künstlichen Licht, und ihre Haut leuchtete. Sie sieht aus wie Audrey Hepburn, dachte sie und erwärmte sich beinahe sofort für sie.
Die Frau lächelte ebenfalls, aber sie wirkte nervös. Überaus nervös. Sie sagte nichts, sondern reichte Bryony die rechte Hand, die sich kalt anfühlte, als Bryony sie ergriff. In der anderen Hand hielt sie fünf oder sechs Briefkuverts. »Ich bin so froh, dass ich Sie zu Hause antreffe«, sagte sie, ehe sie in die Wohnung trat.
Bryony führte sie ins Wohnzimmer und setzte Teewasser auf. Tee war für sie eine Art Eisbrecher, weil sie einfach nicht mehr wusste, was sie zu Fremden sagen sollte. Das leise Brodeln des kochenden Wassers brachte die Leute immer zum Reden.
Sara setzte sich auf das Sofa, aber nur auf die Kante. Die Jacke behielt sie an, als habe sie nicht vor, lange zu bleiben.
Auf dem Tisch brannte die Kerze noch immer. »Wie nehmen Sie Ihren Tee?«, fragte Bryony.
»Oh, mit Milch und einem Stück Zucker, bitte.« Sara breitete die Briefkuverts fächerförmig auf dem Tisch aus und legte die Hände in den Schoß.
Nach ein paar Minuten kehrte Bryony mit zwei Tassen Tee zurück und stellte sie sanft auf den Couchtisch, ehe sie selbst Platz nahm. Sie griff sofort nach den Briefen, unsicher, ob derganze Aufwand notwendig war, wenn es sich wahrscheinlich doch nur um das handelte, was sie vermutete: Müll.
Sara beugte sich vor und sah sie beschwörend an. »Nein, warten Sie«, sagte sie.
»Warum?«, fragte Bryony. Verdutzt krauste sie die Nase.
»Wissen Sie, wer Ihren Freund getötet hat?«, fragte die Fremde. Sie hatte die Hände verschränkt und biss sich auf die Unterlippe. Im Kerzenschein zeigten sich frische Linien in ihrem Gesicht.
»Nein. Nein, das weiß ich nicht«, antwortete Bryony mit Schärfe und fragte sich, wieso die Frau solch aufdringliche Fragen stellte. War sie nicht ganz dicht? »Und ich will es auch nicht wissen. Was kommen Sie zu mir und stellen mir solche Fragen? Ich dachte, Sie bringen nur falsch zugestellte Post.«
»Weil diese Briefe von seinem Mörder kommen.«
Bryony spürte, wie ihr Magen kalt wurde, und die Kerze flackerte plötzlich heftig im Luftzug. Sie stellte sie sachte beiseite, damit sie nicht ausging. Dabei begannen ihre Hände heftig zu zittern, und sie schüttelte den Kopf, als sagte sie wiederholt Nein.
»Wie bitte?«
»Es tut mir leid, Bryony … ich sagte –«
»Auf keinen Fall. Er weiß nicht, wo ich wohne. Das weiß er nicht«, unterbrach Bryony sie fassungslos und verwirrt.
»Ihre Adresse wird vor Gericht vorgelesen worden sein, nehme ich an …«
»Nein. Nein, nein!«, rief Bryony und begann am ganzen Leib zu zittern.
Sara spürte, wie sie es mit der Panik bekam, aber sie musste jetzt stark sein für dieses arme Mädchen, dessen größte Ängste in Form ordentlicher, weißer Briefumschläge plötzlich vor ihr auf dem Tisch lagen. »Ich musste sie Ihnen bringen. Ich hoffe,Sie verstehen, wieso.« Sara fragte sich mit einem Mal, ob sie einen großen Fehler beging. Tom hatte sie unterstützt und ihr geholfen, den Mut zu finden, um Bryony aufzusuchen. Er stand für alle Fälle sogar draußen vor dem Haus, vor dem sie vor Monaten den Leichenzug hatte warten sehen. Eine Zigarette rauchend war er zurückgeblieben und hatte mit der Schuhspitze im Buschwerk gestochert. »Sie brauchen sie nicht zu lesen. Wenn Sie wollen, nehme ich sie wieder mit und lasse Ihnen meine Nummer hier. Oder ich kann sie …« – Sara erhob sich, während sie redete, und ging zur offenen Küche und zeigte auf die Oberseite der Schränke – »hier oben hinlegen, sehen Sie. Dann können Sie sich die Briefe herunternehmen, wann immer Sie sich dafür bereit fühlen.«
Bryony hatte Max erst vor wenigen Minuten um ein Zeichen gebeten. Vielleicht war dies das Zeichen, überlegte sie, während sie die Umschläge anstarrte und sie doppelt sah.
»Nein, es ist schon okay. Danke, dass Sie gekommen sind … ich behalte sie gleich hier«, sagte sie schließlich und kämpfte mit einem Kloß im Hals.
»Gut, dann gehe ich wieder«, sagte Sara. »Danke für den Tee, aber ich glaube wirklich, ich sollte Sie damit nun allein lassen.« Sie schrieb ihre Telefonnummer auf einen Zettel und ließ ihn liegen, dann
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