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Ein Tag in Barcelona (German Edition)

Ein Tag in Barcelona (German Edition)

Titel: Ein Tag in Barcelona (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Brühl , Javier Cáceres
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oben ganz klein wirken, das Stadion von unten unermesslich groß. So viele Menschen auf einmal hatte ich zuvor noch nie gesehen, höchstens beim Karneval in Köln, aber nicht versammelt in einer Arena. Als dann die Hymne Barças erklang, war ich vollends begeistert. Auch wenn ich kein Wort dieses schleppenden Liedes verstand – beim »Barça, Barça, Baaaaarça«, stieg ich voll mit ein, fühlte mich schon als Teil des Ganzen.
    Ich war froh, dass meine Mutter aus dieser Stadt kam und ich deshalb hier sein konnte, im zweitgrößten Stadion der Welt, wie mein Onkel mir erklärte. 100 000 Leute fasst das Stadion. Davon würde ich meinen Freunden daheim erzählen, und zwar in allen Einzelheiten. »Es ist zehnmal größer als das Müngersdorfer Stadion!«, würde ich aufschneiden!
    Hier und jetzt kostete ich erst einmal jede Minute aus und sog alles auf. Ich war dankbar für jede Erklärung meines Onkels über Aufstellung, Geschichte und Taktik. Ich erfuhr, dass der Club von einem Schweizer namens Hans Gamper gegründet worden war und dass die Fans culés hießen, wörtlich: »Ärsche«, weil früher die Barcelona-Fans auf einem Geländer saßen und man von der Straße immer nur ihre Hinterteile sah. Mein Onkel erzählte auch davon, dass es einen zweiten Club gibt in der Stadt, RCD Espanyol, der aber nicht mal ansatzweise so beliebt und erfolgreich war, ist oder sein wird wie Barça. Ich wollte wissen, wer der Beste war und wo die einzelnen Spieler herkamen, hörte auf die Beschimpfungen rechts und links neben mir, pfiff so doll ich konnte, wenn alle pfiffen, und harrte geduldig aus, um in der siebzigsten Minute, als der für den Superstar Gary Lineker eingewechselte Rojo noch in derselben Minute sein erstes Tor schoss, mit dem ganzen Stadion zu explodieren.
    Ich schrie und quiekte, umarmte meinen Onkel, eine wildfremde Frau neben mir wuschelte mir verzückt durch die Haare, und alle Menschen strahlten und tobten. Noch nie in meinem Leben hatte ich etwas Ähnliches erlebt. Das machte so einen unglaublichen Spaß. Ganz aufgeregt starrte ich weiter aufs Spielfeld und wünschte mir diesen Moment zurück, in dem das Tor gefallen war. Und derselbe Spieler schien mein Gebet erhört zu haben, denn keine zehn Minuten später traf er ein zweites Mal. Ich war außer mir, und was ich den ganzen Tag lang hatte unterdrücken können, lief mir jetzt unkontrolliert übers Gesicht. Es war mir saupeinlich, bei einem Fußballspiel zu heulen, aber ich konnte nichts dagegen machen. Ich freute mich einfach zu sehr. Also wischte ich mir, so gut es ging, mit den Fäustlingen über die feuchten Backen. Die pummelige Dame neben mir strubbelte mir wieder durch die Haare und reichte mir ein Taschentuch, doch ich schüttelte energisch den Kopf. Soll doch nicht das ganze Camp Nou erfahren, dass ich flenne.
    Bis zum Abpfiff hatte ich mich wieder gefangen. Aber Juan, der vorher nichts bemerkt hatte, weil er ganz aufs Spiel konzentriert war, sah wohl den letzten Glanz in meinen Augen und lachte sein warmes Lokomotivlachen: »Jetzt ist es um dich geschehen. Jetzt wirst du kein Spiel verpassen wollen von deiner Mannschaft!« Dieser Satz machte mich wahnsinnig stolz. Glücklich stapfte ich ihm hinterher durch die Mengen und drehte mich am Ausgang noch einmal um, schaute auf den Rasen und schwor mir, so bald wie möglich wieder hierherzukommen, um meine Mannschaft spielen zu sehen.

    Tatsächlich versuche ich seither, so wenige Spiele wie möglich zu verpassen. In den USA bin ich einmal morgens um acht durch die Straßen geirrt, um endlich eine Sportbar zu finden, die den clásico überträgt, und war um zehn schon besoffen, weil Barça mal wieder gewonnen hatte.
    Aufgepumpte Bodybuilder-Burschen, die aussahen wie Footballspieler oder Catcher, tanzten mit mir im Kreis und quäkten »Päääp Guarrrrdiaoleee, you are the man!«
    Ich habe schon mit Thailändern, Kubanern, Mexikanern und Australiern Spiele weit weg von Barcelona geschaut. Aber jedes Mal wurde ich dann gegen Ende ein bisschen wehmütig und dachte, wie schön es wäre, jetzt mit meinem Onkel Juan im Camp Nou zu sitzen und mir den Glanz aus den Augen zu wischen.

Ich bin in Gedanken so tief in jenen Besuch im Camp Nou versunken, dass ich fast die Tüten mit den Bohnen liegen lasse, als Xavi und ich uns zum Abschied umarmen. Xavi ruft mich noch mal zurück, drückt sie mir in die Hand, raunt mir zu, dass ich wegen meiner Schusseligkeit nie bei ihm arbeiten dürfte – und schickt mich mit einem

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