Ein Tag in Barcelona (German Edition)
überglücklich stimmte.
Auch wenn mir immer noch ein bisschen mulmig war, merkte ich, wie ich wieder bessere Laune bekam und meinen Onkel wieder mochte. Endlich lag auch in diesem tristen Winter ein Abenteuer in der Luft.
Im Auto roch es nach Sonne, Eau de Cologne, Tabak und Tortilla, nach Spanien also, und ich durfte vorne sitzen. Geschmeidig glitten wir im silbergrauen Talbot durch die glitzernde Nacht, bogen am Passeig de Gràcia links in die Diagonal, und ich staunte nicht schlecht über diese lange, breite Straße. Es kam mir alles größer vor als in Köln.
Irgendwann kroch der Wagen rechts eine Steigung hoch und machte vor einem Imbiss halt, wo es vor Leuten nur so wimmelte. »Voilá, die beste ›Frankfurt‹ der Stadt!«, grinste mein Onkel stolz. Mit meinem lauten Lachen über diesen für mich absurden Satz schlossen wir wieder Frieden und stürzten uns ins Getümmel, denn Juan hatte es jetzt eilig.
Die »Frankfurt«, wie die Bockwurst in Spanien genannt wird, schmeckte wie in Deutschland, für mich also nichts Weltbewegendes. Aber für die Menschen in Spanien war und ist sie ein Hit. Wieder bekam ich Heimweh, vor allem als ich ein paar Herren sah, mit riesigem Bier in der Hand und einem Schal um den Hals, auf dem Uerdingen stand. Sie sprachen Deutsch und machten sich darüber lustig, was auf der Speisetafel stand: Brasword. Die Männer, die als Einzige vorne kurze und hinten lange Haare hatten, lachten sich scheckig, dass man sie nicht verstand, wenn sie »Bratwurst« sagten.
Ich fand’s auch ziemlich komisch, aber mein Onkel guckte böse und meinte, die hätten nicht mehr lange zu lachen. Ich nickte schuldbewusst, ohne zu kapieren, warum, schaute ernst auf den Boden und verdrückte meine Wurst. Der Senf war sauscharf, doch erneut kämpfte ich tapfer gegen die Tränen an. »Lecker«, sagte ich und wurde wieder in die Wange gekniffen. Zack wurde mir noch der Mund mit einer Papierserviette abgewischt, und nachdem mein Onkel bezahlt hatte, setzte er mich flink ins Auto.
Mit der Zeit wurde mein Onkel am Steuer immer hektischer, gleichzeitig schienen die Straßen immer voller zu werden. Wir kamen zurück an die Avenida Diagonal und an ein riesiges Hotel, das nach einer Prinzessin oder so benannt war. Vespa-Schwärme flitzten vorbei wie Indianerpfeile, Tausende Fußgänger gingen wie magisch angezogen auf ein Gebäude im Hintergrund zu, das hell erleuchtet und in einen weißen Nebelschleier getaucht in der Dunkelheit ruhte wie ein Berg. So langsam begriff mein kindliches Hirn, was Sache war. Denn auf den Bürgersteigen waren Stände mit Fußballfanartikeln aufgebaut, blaurote Barça-Fahnen und gelbrote katalanische Flaggen und Schals wehten im Wind, auf weiteren Campingtischen verkauften dicke Frauen Süßigkeiten, Getränke und Zigarren.
Hier also musste das Stadion liegen, von dem ich mal gehört hatte. Natürlich! Das Camp Nou! Die Festung, die versteckt hinter der Kurve lauerte. Sofort fing mein Herz an zu klopfen: Wir gingen zu einem Fußballspiel! Fortan sprachen wir kein Wort. Onkel Juan hatte verstanden, dass ich verstanden hatte, und so ließen wir uns beide von der Magie des Moments berauschen.
Er sah in mir wohl sich selbst als Kind, fühlte sich zurückversetzt an das erste Mal, als er zu einem Fußballspiel durfte, und genoss die kindliche Vorfreude in meinen Augen. Schützend umklammerte er wieder mit seiner großen, warmen Hand meinen Hals, und dieses Mal wollte ich mich nicht aus dem Kaninchengriff lösen. Sicher schlängelte er mich an den Massen vorbei, wir ließen uns anstecken vom hektischen Gewusel der tausend Ameisen, den lachenden, grölenden Fans, den Ständen mit Maronen und Bier, den Familien, die festlich gekleidet waren, als gingen sie in die Kirche. Und tatsächlich, als ob ich eine Kathedrale beträte: So fühlte ich mich. Ehrfurchtsvoll und ängstlich.
Ich schob mich an den Kartenabreißern vorbei und schaute noch mal auf die Grübchen im Gesicht meines Onkels, der langsam den Griff an meinem Hals löste. Und während wir die Treppen im Stadion zu unseren Plätzen emporschritten, sagte er feierlich: »Benvingut al Camp Nou.«
Willkommen im Camp Nou.
In derselben Sekunde bekam ich eine Gänsehaut am ganzen Körper. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Zwar hatte ich mir im Fernsehen schon viele Fußballspiele angeschaut, aber die waren ein Witz gegen das hier. Hier war man ja im Kolosseum! Die Tribünen schienen bis in den Himmel zu ragen, das Spielfeld musste von dort
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