Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Tag in Barcelona (German Edition)

Ein Tag in Barcelona (German Edition)

Titel: Ein Tag in Barcelona (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Brühl , Javier Cáceres
Vom Netzwerk:
jüngere Menschen, die zum Stierkampf gehen? Fehlanzeige. Den Hauptteil der Schaulustigen machten zuletzt die Touristen aus, Briten und Russen, die in Reisebussen angekarrt werden und die Ränge füllen.
    Der »Tod am Nachmittag« hat so sehr an Faszination verloren, dass die andere große Stierkampfarena Barcelonas, die Plaza de Toros de las Arenas, ganz in der Nähe der Plaça d’Espanya, sogar in ein Einkaufszentrum mit Kinos und Fastfood-Restaurants umgewandelt wurde. Auf dem Dach kann man heute lustwandeln und über die Dächer der Stadt schauen. Mein Großvater José Manuel würde sich im Grabe umdrehen, und ich muss gestehen, dass auch ich das für eine große Schande halte. Egal, was man vom Stierkampf hält, die Arenen sind Denkmäler, Schauplätze einer alten und einzigartigen Kultur, die nicht in Konsumtempel für Starbucks, Zara und Mango verwandelt werden dürfen.
    Von dieser Tristesse ist hier und heute aber nichts zu spüren. Kurz vor den Fanfaren, sozusagen dem Anpfiff, kommt tatsächlich die SMS an Aldo, dass wir uns beeilen und draußen an den picadores vorbeigehen sollen. Das sind die beleibten Kerle, die auf Pferden mit verbundenen Augen reiten. Auf diesen ängstlichen, gepanzerten Rossen sitzend, verletzen die picadores den Stier mit einer Lanze, um ihn durch den Blutverlust zu schwächen, nur so hat der Torero überhaupt eine Chance, ihn zu töten. Dieses picar ist das Brutalste am Kampf. Hinter den berittenen Machos, die alle Gesichter aus dem sechzehnten Jahrhundert haben und in ihrer Kluft samt Hüten auch tatsächlich so aussehen, als hätten sie gerade noch Don Quijote auf dem Weg getroffen, befindet sich der gutbewachte Eingang, der uns zu den »Helden« des Abends führen wird.
    Das Tor öffnet sich, und ich stehe direkt neben den drei matadores . Ich kann nichts dagegen tun, dass ich eine Gänsehaut bekomme, denn hier steht das Adrenalin förmlich in der Luft, noch nie zuvor habe ich eine so geballte Ladung davon gespürt! Dem einen, Finito de Córdoba, wird noch die enge Weste zugeschnürt, der Katalane Serafín übt noch einige Drehungen, bei denen die Capa, also das Tuch, in der linken Hand geführt wird und die andere Hand hinter dem Rücken ist, während der Stier einen mit dem rechten Horn angreift. Meine Aufregung steigert sich aber noch mehr, als ich mich dem Star nähere: José Tomás.

    Was diesen Matador berühmt gemacht hat, ist seine beispiellose Eleganz – und vor allem sein außergewöhnlicher Mut. Er steht nicht bloß ganz ruhig da, wenn der Stier auf ihn zurast, sondern geradezu regungslos. Andere Toreros verlagern ihr Gewicht beim Kampf immer leicht auf ein Bein, um sich zur Not schneller vom angreifenden Stier abzuwenden. José Tomás nicht. Er pflockt seine Beine in den Boden. Und rührt sich nicht.
    Ich muss zugeben, dass er tatsächlich schon jetzt, als ich ihn hier backstage erblicke, ziemlich lässig dasteht. Ich nehme mir vor, dies später, wenn ich unbeobachtet bin, vor dem Spiegel zu probieren. Eine Berufskrankheit: Ich merke mir immer Ausdrücke und Gesten, die mich beeindrucken, um sie nachzuahmen und einzustudieren, damit ich sie gegebenenfalls vor der Kamera abrufen kann, wenn ich einen Film drehe. Einen Stierkämpfer sollte ich trotzdem lieber nicht spielen. Jetzt gehe ich dicht an José Tomás vorbei und kann seinen ruhigen Atem hören. Seine Augen blinzeln trotz der Sonne kein bisschen, sie sind starr auf den Ort des Geschehens gerichtet. Wir dürfen zwei, drei Fotos machen, aber dann werden wir hinausgebeten. Es geht los!
    Wir haben kaum auf den Rängen Platz genommen, da holt Aldo auch schon eine Flasche Sherry und Gläser heraus, die er an den Ordnern vorbei hineingeschmuggelt hat. »Nervennahrung«, sagt er.
    Die ist willkommen. Es ist so lange her, dass ich einen Kampf gesehen habe, dass ich nicht weiß, wie ich reagieren werde. Als Kind, mit meinem Großvater, habe ich Stierkämpfe gehasst. Er hatte Verständnis dafür: »Es que eres alemán« , pflegte er zu sagen. »Du bist halt Deutscher.«
    Wofür er keinerlei Verständnis hatte, war, dass ich vor Begeisterung aufschrie, wann immer ein Stierkämpfer auf die Hörner genommen wurde. Ich fand das sehr lustig, bis wir eines Tages im Fernsehen einen der berühmtesten Kämpfe der letzten Jahrzehnte sahen und der Star-Torero Paquirri dabei ums Leben kam. Ich rannte entsetzt aus dem Haus und wusste nicht mehr, ob mir von dem vielen Blut des Stieres oder dem von Paquirri schlecht geworden war.

Weitere Kostenlose Bücher