Ein Tag in Barcelona (German Edition)
Bedrohung vor ihm muss er also noch mit dem Psychoterror klarkommen!
Ordinär findet der Herr hinter uns solche Bemerkungen, das gehöre sich nicht. »Die jungen Leute heutzutage haben immer weniger Klasse, deshalb wurde uns ja auch der Stierkampf genommen!« Ich kann den Kerl ausmachen, der das mit dem genauso schlecht bumsen gerufen hat, und ich schwöre: Er ist mindestens fünfundachtzig.
Der Stierkampf sei seine einzige Beschäftigung, seit er in Rente ist, sagt unser neuer Freund. Er wisse auch gar nicht, was er ohne Stierkampf machen solle. Wahrscheinlich werde er mit seiner Frau nach Saragossa oder nach Südfrankreich fahren, wo es noch Stierkämpfe gibt. »Wenn wir das dann noch schaffen und das Geld haben.« Er wirkt so traurig, dass wir ihm einen Schluck Sherry anbieten, den er dankend annimmt.
Es ist rührend, diesen Mann zu sehen, dessen Welt bald zusammenbrechen wird. Welcher der beste Kampf gewesen sei, den er in all der Zeit gesehen habe, will ich wissen. »Junger Mann«, sagt er, »das war der Kampf von dem Herrn, den wir gleich erleben werden. Und es bricht mir das Herz, ihn nie wieder hier kämpfen zu sehen.«
Tatsächlich sehe ich einen Glanz in dem müden alten Auge, das auf mich gerichtet ist. Das andere, das auf die Arena blickt, ist jünger und funkelt. Ein scheppernder Paso doble unterbricht den traurigen Moment. Ich frage mich, woher diese Klänge wohl kommen, von der Kapelle oben, die den Kämpfern die Signalmelodien zuspielt, wohl kaum. Da zückt der Alte freudig sein Handy und begrüßt seine Frau mit einem zärtlichen »mein kleines Stierchen«. Super Klingelton, dieser Mann ist wirklich ein Fan, durch und durch. Daraufhin berichtet er ihr, was bisher in der Arena passiert ist. Wirklich ergreifend, denke ich, das ist sein Leben.
Während dann José Tomás die Bühne betritt und zum letzten Duell des Tages bittet, schildert mir der Mann euphorisch die dramatischen Momente seines Lieblingskampfes, vielleicht des besten Tages in seinem Leben. Idílico, der bereits erwähnte sechshundert Kilo schwere Koloss, ging damals einen aberwitzigen Todestanz mit José Tomás ein und kam am Ende mit dem Leben davon, weil die Zuschauer und der Torero es so wollten. Dieser Stier musste begnadigt werden, er wurde verarztet und zurück auf seine Weide geschickt, wo er bis an sein Lebensende bleiben durfte, auch wenn der Präsident mit dem Daumen nach unten dagegen gestimmt hatte. »Denn José Tomás hat sich ihm widersetzt und dem unglaublichsten Stier, dem er im unglaublichsten Kampf seines Lebens gegenübergestanden hatte, das Leben gerettet.«
Und während der Alte mir diese gewaltigen Worte ins Ohr schmettert, sehe ich hinunter in die Arena und denke fast, dass er den Kampf, der sich vor meinen Augen abspielt, live kommentiert.
Aber nein, dieser Stier ist leider nicht so mutig wie Idílico. José Tomás wirft stolz seine Kappe in hohem Bogen auf den blutgetränkten Sand. Sie kommt richtig herum auf dem Boden auf. Das bedeutet, er wird Glück haben, so besagt es der Aberglaube. Das Publikum klatscht. Dann wird es totenstill. Er steht da, wie nur er dastehen kann. Schlank, aufrecht, grazil. Das Schwert hält er ganz oben fest, mit seinen Augen, die nie zu blinzeln scheinen, nimmt er Maß. Noch ein kurzer Moment, dann holt er den Stier an sich heran und tötet ihn mit einem sauberen Stoß in den Nacken. Der Koloss sackt in sich zusammen, es ist vorbei, man will den Matador mit beiden Ohren belohnen. Der Präsident stimmt dem zu.
Wenn der Matador den Stier mit dem ersten Degenstich zwischen die Schulterblätter sofort tötet, dann bekommt er ein Ohr. Wenn das Publikum begeistert ist, auch den Schwanz. Die höchste Auszeichnung sind zwei Ohren, dann wird er von seinen aficionados, seinen Fans, auf den Schultern aus der Arena getragen.
»Ist das nicht eine wunderbare Art zu sterben? Wie in einer griechischen Tragödie, ich wünschte mir meinen eigenen Tod genauso. Leben Sie wohl, meine Lieben, wir werden uns wohl nicht mehr so schnell über den Weg laufen. Ramón mein Name, es war mir ein Vergnügen«, sagt der alte Mann mit dem offenen Hemd zum Abschied.
Ich schaue dem alten Fan zu, wie er sein Strickjäckchen anzieht und davonschlurft. Und bin mir sicher, dass dieser Mann kein Barbar ist. Im nächsten Moment feuert Aldo mich begeistert an, etwas zu tun, was man einmal im Leben unbedingt gemacht haben muss. In die Arena zu springen und den Torero hinauszutragen, durch das große Tor, das
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