Ein Tag in Barcelona (German Edition)
Seither habe ich beim Stierkampf nie wieder gelacht.
Als ich achtzehn wurde, wollte ich die Faszination der corridas gleichwohl verstehen. Ich hatte Ernest Hemingway gelesen und war der Kunst dieses Mannes völlig erlegen. Ich wollte mir ein klares Bild von diesem Phänomen machen und nicht einfach nur denken, dass es ein barbarisches Abschlachten eines wehrlosen Tieres ist. Ich wollte dahinterkommen, warum diese jungen Kerle sich im einundzwanzigsten Jahrhundert immer noch diesem Beruf widmen können, statt sie einfach für zurückgebliebene, schmale Bürschchen mit pinkfarbenen Strümpfen und Testosteronüberschuss zu halten.
Ich rief mir die Dinge in Erinnerung, die mein Opa mir beigebracht hatte. Dass feige Kämpfer gegen Stiere kämpfen, denen man die Spitzen an den Hörnern abfeilt, dass ein mutiger Torero immer das Tuch unten und nah am Körper hält, dass er das Tier am Ende mit einem einzigen gekonnten Stoß erlegt, um es nicht unnötig zu quälen, weil man die Stiere doch liebt. Was für ein Paradox!
Schwachsinnig, dachte ich als Kind. Trotzdem wollte und will ich es nachvollziehen können, bis heute, und bekomme von Befürwortern auch die entsprechenden Argumente. Auch jetzt mit Aldo, während wir auf der Tribüne hocken, reden wir darüber, und er ist bei dem Thema ganz entschieden. »Wenn ein Gegner eine ernsthafte Diskussion über das Thema anfangen möchte, dann frag ihn, ob er Fleisch isst, Schnitzel, Hamburger, Würstchen, Steaks und Hähnchen«, sagt er. »Wenn dem so ist und er sie nicht selber schlachtet, dann brich die Diskussion ab, denn dann ist sie nicht mehr ernst zu nehmen. Wenn jemand Vegetarier aus Überzeugung ist, dann ist es etwas anderes, das muss man respektieren. Keiner dieser schlauen Gegner des Stierkampfs hat jemals auf einer Weide gestanden, wo diese prächtigen Tiere bis zu ihrem Tode leben. Hektarweise Land, bestes Futter und Verpflegung, keine Dunkelheit und Elektroschocks, keine Massentierhaltung, keine Legebatterien, kein minderwertiges Futter. Diese Stiere werden gut behandelt, und es gäbe diese wunderschönen Tiere ja auch nicht ohne den Stierkampf, sie wären ausgestorben! Das Fleisch des Tieres wird verarbeitet, gegessen, es wird nicht einfach weggeworfen. So viel zu den Fakten. Darüber hinaus, und da kommt man in den eigentlich spannenden Bereich der taurinischen Kultur, geht es um eine tiefe Liebe zwischen dem Mann und dem Stier, das Publikum ist auf Seiten des Stierkämpfers, aber gleichzeitig auch für den Stier, man beklatscht ihn und zückt das Taschentuch genauso auch für ihn, wenn er gut kämpft.«
Als ich auf die Ungleichheit der Chancen eingehe, klinkt sich ein älterer Herr direkt hinter uns ein. Er hat die Haare streng nach hinten gekämmt, der Kamm steckt in der Tasche des Hemdes, das großzügig geöffnet ist. Es ist ja auch heiß, und wir sitzen »Sol«, also auf den sonnigen Plätzen, die billiger sind. Er schielt sehr stark, kann dadurch aber gleichzeitig mit uns sprechen und das Geschehen in der Arena verfolgen. Wie praktisch.
»Verzeihung, dass ich mich einmische«, sagt er mit heiserer Stimme, »aber wenn ein Neuer dabei ist«, und damit meint er zweifelsohne mich, »dann will ich immer ein bisschen was erklären.« »Un poquito« , ein bisschen, heißt in Spanien immer das Gegenteil, also viel und lange. Dementsprechend haben wir den Opi bis zum Schluss an der Backe, aber seine Geschichte ist interessant.
Er sei seit dreißig Jahren Abonnent und habe keine Corrida verpasst, es sei sein Hobby, seine Leidenschaft, sein Leben. Seine Wohnung sei mit Postern und Fotos von Kämpfern und Stieren tapeziert, und er erkenne in drei Sekunden, ob der Stier und der Torero etwas taugen.
Er ruft auch ständig vernuschelte Kommandos in die Arena, Aldo übersetzt mir den Jargon. »Wind kommt auf«, ruft er einmal, und Aldo sagt, das heiße, dass Wasser aufs Tuch müsse, um es steifer zu machen. »Nimm die Hand runter und das Tuch an den Körper, du Feigling«, ruft er ein anderes Mal. »Hey Picador, du Mörder, hör auf, im Stier rumzustochern, du tötest ihn ja!«, und so weiter und so fort.
Manchmal meine ich meinen Ohren nicht trauen zu können. Beim zweiten Kämpfer etwa, von dem man aus der Boulevardpresse weiß, dass er von seiner Frau verlassen wurde, hört man: »Wenn du genauso schlecht bumst, wie du kämpfst, dann isses kein Wunder, dass deine Alte dich verlassen hat!« Der Stierkämpfer hört alles davon klar und deutlich, neben der halben Tonne
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