Ein Tag wie ein Leben
sieht… fantastisch aus«, stammelte ich.
»Danke«, erwiderte sie leise.
Sie kam auf mich zu, ich ahnte schon den Duft ihres neuen Parfüms, doch als ich sie auf den Mund küssen wollte, drehte sie den
Kopf weg.
»Immer schön sachte, junger Mann«, sagte sie lachend. »Du verschmierst sonst noch meinen Lippenstift.«
»Ernsthaft?«
»Ja, ernsthaft.« Und als ich sie wenigstens kurz in die Arme schließen wollte, wehrte sie mich ebenfalls ab. »Wir können uns später
umarmen - versprochen. Wenn ich vor Rührung in Tränen ausbreche,
ist mein Make-up sowieso ruiniert.«
»Wo steckt Anna?«
Jane deutete mit einer Kopfbewegung zur Treppe. »Sie ist fertig,
aber sie wollte noch etwas mit Leslie unter vier Augen besprechen.
Ganz kurz nur, hat sie gesagt. Sicher ein kleiner Abschied unter
Schwestern.« Sie lächelte verträumt. »Ich kann es kaum erwarten, bis
du sie endlich in ihrem Brautkleid siehst! Ich glaube, ich habe noch
nie eine so schöne Braut gesehen. Ist alles bereit?«
»John sitzt schon am Klavier. Wir brauchen ihm nur Bescheid zu
sagen, und er legt los.«
Jane nickte. Sie wirkte plötzlich sehr nervös. »Wo ist Daddy?«
»Auf der Veranda«, beruhigte ich sie. »Mach dir keine Sorgen - alles ist in bester Ordnung. Jetzt müssen wir nur noch warten.«
Sie nickte wieder. »Wie spät ist es?«
Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr. »Genau acht.« Wahrscheinlich überlegte Jane schon, ob sie Anna holen sollte, doch da
hörte man oben eine Tür. Wie auf Befehl schauten wir beide nach
oben.
Leslie erschien als Erste. Bildschön, wie ihre Mutter. Sie eilte beschwingt die Stufen herunter, man merkte ihr die Vorfreude an. Der
jugendliche Schimmer ihrer Haut wirkte betörend. Auch ihr Kleid
war in Apricot gehalten, aber im Gegensatz zu Jane hatte sie ein ärmelloses ausgewählt, wodurch ihre durchtrainierten und doch grazilen Oberarme wunderbar zur Geltung kamen.
»Sie kommt gleich!«, rief sie. »Es kann sich nur noch um Sekunden
handeln.«
Joseph trat durch die Haustür und stellte sich neben seine Schwester. Jane hakte sich bei mir unter, und ich stellte erstaunt fest, dass
meine Hände zitterten. Jetzt kommt der große Augenblick, dachte ich.
Als wir hörten, dass sich die Tür oben wieder öffnete, erschien auf
Janes Gesicht ein seliges Lächeln.
»Gleich ist es so weit!«, flüsterte sie.
Ja, Anna näherte sich der Treppe - aber meine Gedanken waren nur
bei Jane. Während sie sich aufgeregt an mich schmiegte, spürte ich,
dass ich sie noch nie so geliebt hatte wie jetzt. Ich konnte vor Freude
gar nicht sprechen, mein Mund war wie ausgetrocknet.
Bei Annas Erscheinen riss Jane entsetzt die Augen auf. Sie war
sprachlos, wie erstarrt. Anna, die damit gerechnet hatte, beschleunigte ihren Schritt. Merkwürdigerweise hielt sie einen Arm hinter dem
Rücken, als wollte sie etwas verbergen.
Das Kleid, das sie trug, war nicht das, in dem Jane sie noch vor ein
paar Minuten gesehen hatte. Nein, sie hatte sich blitzschnell umgezogen, nachdem ihre Mutter gegangen war. Dieses »neue« Kleid
hatte ich am Morgen ins Haus gebracht und es in einem Kleidersack
oben in einen der leeren Schränke gehängt. Es war das Zwillingsmodell zu Leslies Kleid.
Ehe Jane ein Wort über die Lippen brachte, stand Anna schon vor
ihr und zeigte ihr, was sie hinter dem Rücken versteckt hatte.
»Hier - ich finde, du solltest den tragen.«
Als Jane den Brautschleier in Annas Hand sah, blinzelte sie ein paar
Mal verdutzt, weil sie ihren Augen nicht traute. »Was geht hier vor
sich?«, fragte sie verwirrt. »Wieso hast du dein Hochzeitskleid wieder ausgezogen?«
»Weil ich gar nicht heirate«, erklärte Anna mit einem übermütigen
Grinsen. »Jedenfalls noch nicht.«
»Was redest du für einen Unsinn?«, rief Jane empört. »Selbstverständlich heiratest du…«
Anna schüttelte den Kopf. »Heute ist nicht meine Hochzeit, Mom,
sondern deine.« Sie schwieg, um die Worte wirken zu lassen. »Was
denkst du wohl, warum ich immer darauf bestanden habe, dass du
alles aussuchst?«
Jane schien gar nicht zu begreifen, was Anna ihr da mitteilte. Sie
blickte von Anna zu Joseph zu Leslie, um in ihren strahlenden Gesichtern eine Antwort zu suchen. Schließlich wandte sie sich an
mich.
Ich nahm ihre Hand und führte sie an meine Lippen. Ein Jahr voller
Pläne, ein Jahr voller Geheimnisse - und nun war es endlich so weit.
Zärtlich küsste ich ihre Finger, einen nach dem anderen.
»Du hast gesagt, du würdest mich ein zweites Mal
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