Ein Tag wie ein Leben
zauberhafte Szene: Leslie
gestikulierte lebhaft mit den Händen - offenbar gab sie gerade eine
lustige Anekdote zum Besten -, Anna und Joseph bogen sich vor
Lachen. Ihr Gelächter drang bis zu uns.
»Wenn ich die Kinder zusammensitzen sehe, kommen mir so viele
Erinnerungen«, sagte Jane. »Ich wollte, Joseph würde nicht so weit
weg wohnen. Die Mädchen vermissen ihn. Die drei sitzen jetzt schon
fast eine Stunde um den Tisch herum und kichern die ganze Zeit.«
»Warum sitzt du nicht bei ihnen?«
»Ich war bis vorhin dabei. Aber dann habe ich die Scheinwerfer
deines Wagens gesehen und hab mich davongeschlichen.«
»Weshalb?«
»Weil ich mit dir allein sein wollte«, sagte sie und stieß mich an.
»Ich wollte dir dein Hochzeitstagsgeschenk geben, und du hast ja
selbst schon gesagt - morgen wird es sicher ziemlich hektisch.« Sie
überreichte mir einen Umschlag. »Ich weiß, es sieht nach nichts aus,
aber es ist kein Geschenk, das man einpacken kann. Du wirst gleich
verstehen, warum.«
Neugierig öffnete ich den Umschlag und fand darin einen Gutschein.
»Ein Kochkurs?« Ich war begeistert.
»In Charleston.« Jane kuschelte sich an mich, deutete auf die Karte
und sagte: »Der Kurs ist angeblich etwas ganz Besonderes. Siehst
du? Du verbringst ein Wochenende im Mondori Inn mit dem dortigen Chefkoch. Er gilt als der beste weit und breit. Ich weiß, du hast
auch als Autodidakt schon erstklassige Gerichte gezaubert, aber es
macht dir vielleicht Freude, ein paar neue Sachen auszuprobieren. So
viel ich weiß, lernt man zum Beispiel, wie man ein Tranchiermesser
benutzt oder woran man merkt, ob die Pfanne heiß genug ist, um
etwas zu sautieren. Und außerdem wird einem beigebracht, wie man
die Speisen garniert. Du kennst doch Helen - weißt du, vom Kirchenchor? Sie hat gesagt, für sie war dieser Kurs eins der schönsten Wochenenden ihres Lebens.«
Gerührt schloss ich Jane in die Arme und drückte sie. »Danke!
Wann findet der Kurs statt?«
»Im September und im Oktober - immer am ersten und am dritten
Wochenende im Monat - du kannst das Datum also ohne Probleme
mit deinem Terminplan abstimmen. Dann brauchst du nur noch anzurufen.«
Ich studierte den Gutschein und versuchte, mir dieses Wochenende
vorzustellen. Jane schien etwas verunsichert, weil ich so wenig sagte.
»Wenn es dir nicht gefällt, kann ich mir auch etwas anderes ausdenken.«
»Nein, nein, es ist genau das Richtige«, versicherte ich ihr, fügte
dann aber mit gespielt besorgter Miene hinzu: »Allerdings gibt es ein
kleines Problem.«
»Und das wäre?«
Ich schloss sie wieder in die Arme. »Ich fände es viel, viel schöner,
wenn wir den Kurs gemeinsam machen würden. Was hältst du davon
- wir könnten doch ein romantisches Wochenende daraus machen!
Charleston ist um diese Jahreszeit ausgesprochen angenehm, und
eine Stadtbesichtigung zu zweit macht auch wesentlich mehr Vergnügen.«
»Meinst du?«
Ich schaute ihr tief in die Augen. »Ich kann mir nichts Schöneres
vorstellen. Außerdem würdest du mir unglaublich fehlen - ohne dich
wäre es nicht halb so interessant.«
»Aber manchmal wächst die Liebe durch eine Trennung auf Zeit«,
neckte sie mich.
»Kann ich mir nicht vorstellen«, entgegnete ich ernsthaft. »Du
ahnst gar nicht, wie groß meine Liebe zu dir schon ist.«
»Ach, ich glaube doch, dass ich es ahne.« Gerade, als ich mich zu
ihr beugte, um sie zu küssen, merkte ich, dass die Kinder uns beobachteten. In der Vergangenheit hätten diese Blicke mich verlegen
gemacht, aber jetzt ließ ich mich nicht beirren, und Jane erwiderte
meinen Kuss voller Hingabe.
K
APITEL 18
Ich war am Samstagmorgen längst nicht so nervös, wie ich erwartet
hätte.
Anna kam vorbei, als wir alle schon aufgestanden waren und gerade frühstücken wollten. Sie verblüffte die ganze Familie mit ihrer
heiteren Gelassenheit. Nach dem Frühstück ließen wir uns auf dem
Deck nieder, um uns noch etwas zu entspannen, ehe der allgemeine
Trubel losbrach. Es war die Ruhe vor dem Sturm - als würde die Zeit
stillstehen.
Mehr als einmal spürte ich, wie Leslie und Joseph uns beobachteten. Offenbar wunderten sie sich darüber, dass ihre Eltern sich so gut
verstanden, sich neckten und über die Geschichten des anderen fröhlich lachten. Leslie bekam sogar feuchte Augen, wie eine stolze Mutter, während Josephs Gesichtsausdruck nicht so leicht zu entschlüsseln war. Freute er sich für uns - oder überlegte er sich schon, wie
lange diese Phase wohl anhalten
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