Ein Tag wie ein Leben
Ehepaar. In den Alben konnte man Dutzende
von Paarfotos finden, die unsere Kinder geknipst hatten, aber keines
von ihnen hatte je den Weg in einen Rahmen gefunden. Jane hatte
immer wieder vorgeschlagen, wir sollten uns doch noch einmal offiziell fotografieren lassen, doch im Trubel des Alltags und der beruflichen Pflichten war ich nie auf diesen Vorschlag eingegangen. Jetzt
fragte ich mich manchmal, warum wir uns nie die Zeit genommen
hatten. Bedeutete das etwas für unsere Zukunft? Oder war es vielleicht gar nicht wichtig?
Mein Gespräch mit Noah hatte mich nachdenklich gemacht. Wie
sah unser Leben eigentlich aus, seit die Kinder aus dem Haus waren?
Hätte ich ein besserer Ehemann sein können? Ganz bestimmt - das
stand außer Frage. Aber im Rückblick waren es vor allem die Monate nach Leslies Aufbruch ins College, in denen ich Jane im Stich gelassen hatte. Das heißt - lässt man jemanden im Stich, wenn man
seine Befindlichkeit gar nicht richtig wahrnimmt? Ist es dasselbe?
Mir fiel wieder ein, dass Jane oft ziemlich still und sogar launisch
und gereizt gewesen war. Manchmal starrte sie wie gelähmt durch
die Glastür, oder sie sortierte lustlos die Kartons mit den alten Kindersachen. Aber ich hatte in dem Jahr noch mehr zu tun gehabt als
sonst - der alte Ambry hatte einen Herzinfarkt und sah sich gezwungen, seine Arbeitszeit drastisch zu reduzieren. Deshalb reichte er
viele seiner Klienten an mich weiter. Diese Doppelbelastung konnte
ich kaum bewältigen, und wenn ich nach Hause kam, war ich total
erschöpft und vermochte gar nicht abzuschalten.
Als Jane plötzlich beschloss, das Haus zu renovieren, betrachtete
ich das als gutes Zeichen - endlich hatte sie ein Projekt, eine sinnvolle Beschäftigung. Wenn sie etwas Konkretes plante und es auch
durchführte, konnte sie nicht dauernd an die Kinder denken. Und
bald schon standen an der Stelle unserer alten Polstermöbel elegante
Ledersofas, Couchtischchen aus Kirschbaumholz und Lampen mit
geschwungenen Messinghälsen zierten plötzlich unser Wohnzimmer,
neue Tapeten das Esszimmer, und um den Tisch gruppierten sich
genug Stühle für unsere Kinder und ihre zukünftigen Ehepartner.
Jane arrangierte jedes Detail sehr stilsicher und mit viel Geschmack,
aber ich muss gestehen, dass ich häufig doch recht schockiert war,
wenn ich am Monatsende die Kreditkartenrechnung sah. Um Jane
nicht zu entmutigen, hielt ich jedoch lieber den Mund.
Nachdem sie das ganze Haus neu eingerichtet hatte, ging es uns
immer noch nicht besser miteinander. Irgendetwas stimmte nicht.
Dieses Gefühl hatte allerdings gar nichts mit dem leeren Nest zu tun,
sondern damit, wie wir uns als Paar zueinander verhielten. Wir redeten nicht darüber. Es war wie eine stumme Übereinkunft - als wären
wir beide der Meinung, dass wir alles nur noch schlimmer machen
würden, sobald wir es laut aussprächen. Und wahrscheinlich hatten
wir beide Angst vor dem, was danach passieren würde.
Das war auch der Grund, weshalb wir nie zur Eheberatung gingen.
Man mag es altmodisch finden, aber mir hat der Gedanke, mit anderen über unsere Probleme zu sprechen, noch nie gefallen, und Jane
geht es da ganz ähnlich wie mir. Außerdem hätte ich schon im Voraus gewusst, was ein Eheberater sagen würde. Nein, das Problem
wurde nicht durch die Abwesenheit der Kinder ausgelöst, hätte der
Psychologe uns versichert, auch nicht dadurch, dass Jane jetzt so viel
freie Zeit hatte. Diese Dinge waren nur die Katalysatoren, die bereits
vorhandene Unstimmigkeiten ans Tageslicht brachten.
Aber wie sind wir in diese Situation geraten?
Es fällt mir zwar sehr schwer, es zuzugeben, aber ich glaube, im
Grunde war es reine Fahrlässigkeit - vor allem meinerseits, um ehrlich zu sein. Ich habe nicht nur meine berufliche Laufbahn ernster
genommen als die Bedürfnisse und Wünsche meiner Familie, ich bin
auch immer davon ausgegangen, dass unsere Ehe niemals in Gefahr
geraten würde. Niemals! Meiner Ansicht nach gab es in unserer Beziehung keine größeren Differenzen. Aber ich war, weiß Gott, nicht
der Typ, der seine Frau mit Kleinigkeiten verwöhnte, so wie Noah es
immer bei Allie getan hatte. Wenn ich darüber nachdachte - was zugegebenermaßen nicht sehr häufig vorkam -, dann redete ich mir ein,
dass Jane ja von Anfang an gewusst hatte, worauf sie sich einließ, sie
wusste, was für ein Mann ich bin, und bisher hatte ihr das immer
genügt.
Aber Liebe, das habe ich inzwischen begriffen, ist mehr als
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