Ein Tag wie ein Leben
ich
dich trotzdem.«
Ich lächelte. Mir wurde ganz warm ums Herz, weil ich mich rundum glücklich fühlte. Wie lange war es her, dass wir das letzte Mal so
in der Küche miteinander gescherzt und gelacht hatten? Monate,
wenn nicht Jahre! Aber auch wenn es nur ein vorübergehendes Phänomen sein sollte, fächelte es dennoch die kleine Flamme der Hoffnung an, die ich insgeheim hegte.
Unsere allererste Verabredung war keineswegs nach Plan verlaufen.
Ich hatte einen Tisch bei Harper’s reserviert, dem besten Restaurant der Stadt. Natürlich war es auch das teuerste. Ich hatte genügend
Geld bei mir, um das Essen zu bezahlen, aber für den Rest des Monats würde ich eisern sparen müssen, wenn ich einigermaßen über
die Runden kommen wollte. Doch das Essen sollte ja etwas Besonderes sein. Und für später hatte ich mir auch schon eine spezielle Überraschung ausgedacht.
Ich holte Jane von ihrem Studentenwohnheim in der Meredith Road
ab. Die Fahrt zum Restaurant dauerte nur ein paar Minuten. Unser
Gespräch verlief typisch für ein erstes Rendezvous: oberflächlich,
banal. Wir sprachen über die Universität und dass es plötzlich so kalt
geworden war, und ich sagte, es sei doch gut, dass wir unsere warmen Jacken dabei hätten. Aber ich weiß auch noch, dass ich ihr ein
Kompliment zu ihrem Pullover machte. Sie antwortete, sie habe ihn
gestern gekauft. Wie gern hätte ich gewusst, ob sie ihn extra für diesen Abend ausgesucht hatte, aber sie direkt darauf anzusprechen,
traute ich mich nicht.
Weil so viele Leute unterwegs waren, um ihre Weihnachtseinkäufe
zu erledigen, fanden wir keinen Parkplatz in der Nähe des Restaurants und mussten deshalb zwei Straßen weiter parken. Ich hatte
reichlich Zeit eingeplant - wir würden es ohne Probleme rechtzeitig
schaffen. Unterwegs bekamen wir von der Kälte ganz rote Nasen,
und unser Atem bildete kleine Wölkchen. In vielen Schaufenstern
blinkte bunter Lichterschmuck, und durch die Tür einer Pizzeria
drang festliche Weihnachtsmusik aus der Jukebox.
Den Hund sahen wir kurz vor dem Restaurant. Er war mittelgroß,
abgemagert und kauerte völlig verdreckt in einer Ecke, zitternd vor
Kälte. Seinem Fell konnte man ansehen, dass er schon einige Tage
herumstreunte. Ich trat zwischen Jane und das Tier, für den Fall, dass
es gefährlich war - womöglich hatte der Hund ja Tollwut. Aber Jane
ging einfach hinter mir herum, kauerte sich hin und redete besänftigend auf das verschüchterte Tier ein.
»Es ist alles okay«, flüsterte sie. »Wir tun dir nichts.«
Der Hund schlich rückwärts in den Schatten.
»Er trägt ein Halsband«, sagte Jane. »Bestimmt hat er sich verlaufen.« Sie nahm den Blick nicht von dem Tier, das sie seinerseits
misstrauisch fixierte.
Ich schaute auf die Uhr. In ein paar Minuten lief unsere Reservierung ab. Ich wusste zwar immer noch nicht, ob der Hund krank war,
aber ich hockte mich neben Jane und fing an, in demselben beruhigenden Ton mit ihm zu sprechen. Er rührte sich nicht vom Fleck.
Jane näherte sich ihm ein kleines Stück, aber gleich winselte er erschrocken und wich noch weiter zurück.
»Er hat Angst«, flüsterte Jane besorgt. »Was sollen wir tun? Wir
können ihn doch nicht einfach hier sitzen lassen! Heute Nacht soll es
eiskalt werden, Temperaturen unter Null, da erfriert er! Und wenn er
sich verlaufen hat, möchte er bestimmt nach Hause.«
Wahrscheinlich hätte ich alle möglichen Einwände vorbringen können. Ich hätte sagen können, wir hätten unser Bestes getan und sollten lieber den Tierdienst rufen. Oder dass wir nach dem Essen wieder
hier vorbeikommen könnten, und wenn der Hund dann noch da sein
sollte, noch einmal unser Glück versuchen. Aber Janes Gesichtsausdruck - diese Mischung aus Sorge und Trotz - hinderte mich daran,
überhaupt etwas zu sagen. Zum ersten Mal bekam ich eine Vorstellung von der liebevollen Anteilnahme, mit der Jane allen Not leidenden Lebewesen begegnete. Mir war instinktiv klar, dass ich nichts
anderes tun konnte, als sie in ihrem Vorhaben zu unterstützen.
»Lass es mich mal allein versuchen«, sagte ich.
Ich hatte, ehrlich gesagt, keine Ahnung, was ich tun sollte. Als
Kind hatte ich nie einen Hund gehabt, weil meine Mutter an einer
Hundeallergie litt. Ich streckte die Hand aus und redete ganz leise
mit dem Hund. Diese Szene hatte ich einmal in einem Film gesehen.
Ich wartete, bis sich der Hund an meine Stimme gewöhnt hatte,
dann robbte ich langsam vorwärts, Zentimeter für Zentimeter.
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