Ein Tag wie ein Leben
zu
führen. »Darf ich fragen, wieso?«
»Keine Ahnung«, sagte ich. »Erinnerst du dich überhaupt noch daran?«
»Aber selbstverständlich!«, rief sie empört. »Es war kurz vor den
Weihnachtferien. Wir wollten bei Harper’s essen, aber dann haben
wir einen streunenden Hund entdeckt, und als wir schließlich ins
Restaurant kamen, war unser Tisch schon vergeben. Also sind wir
stattdessen in einer kleinen Pizzeria gelandet. Und anschließend…«
Sie kniff die Augen zusammen, um sich die Reihenfolge der Ereignisse noch einmal zu vergegenwärtigen.
»Anschließend sind wir mit deinem Auto zur Havermill Road gefahren, um uns die Weihnachtsdekoration anzusehen, stimmt’s? Du
wolltest unbedingt aussteigen und herumlaufen, obwohl es bitterkalt
war. Vor einem der Häuser hatten die Leute eine richtige Weihnachtsstadt aufgebaut, mit Santa Claus und allem, und plötzlich kam
der Weihnachtsmann auf mich zu und überreichte mir das Geschenk,
das du für mich ausgesucht hattest. Ich war total verblüfft, dass du
dir für unsere erste Verabredung gleich so etwas Tolles ausgedacht
hast.«
»Und weißt du noch, was in dem Päckchen war?«
»Wie könnte ich das je vergessen?« Sie lächelte verschmitzt. »Ein
Regenschirm!«
»Wenn ich mich recht entsinne, warst du nicht gerade begeistert.«
»Tja - da ich nun einen eigenen Regenschirm besaß, wusste ich leider nicht mehr, wie ich irgendwelche Männer kennen lernen sollte.«
Sie lachte. »Das war nämlich damals meine Taktik - wenn es regnete,
habe ich einen Mann, der mir gefiel, gebeten, mich zum Auto zu begleiten. Am Meredith College gab’s ja weit und breit keine jungen
Männer, das darfst du nicht vergessen, da gab’s nur Professoren und
Hausmeister.«
»Deshalb habe ich dir den Schirm ja geschenkt«, sagte ich. »Weil
ich deine Methode längst durchschaut hatte.«
»Ach, du hattest doch keine Ahnung!«, sagte sie mit einem frechen
Grinsen. »Ich war die erste Frau, mit der du ausgegangen bist.«
»Stimmt gar nicht! Ich hatte schon vor dir ein paar Dates.«
Janes Augen blitzten. »Gut, meinetwegen - aber ich war die erste,
die du geküsst hast.«
Das stimmte, aber ich hatte es schon öfter bereut, ihr das gestanden
zu haben, da sie es sich selbstverständlich gemerkt hatte und es immer in den unpassendsten Augenblicken aufs Tapet brachte. Zu meiner Verteidigung konnte ich nur ein einziges Argument vorbringen:
»Ich war viel zu sehr damit beschäftigt, meine Zukunft zu planen.
Deshalb hatte ich gar keine Zeit für irgendwelche Techtelmechtel.«
»Du warst schüchtern.«
»Ich war fleißig und strebsam. Das ist etwas anderes!«
»Erinnerst du dich nicht mehr an unser Essen? Oder an die Autofahrt? Du hast kein Wort über die Lippen gebracht. Nur von der Uni
hast du geredet.«
»Nein, ich habe auch noch über andere Sachen gesprochen«, protestierte ich. »Ich habe dir zum Beispiel gesagt, dass mir dein Pullover gefällt.«
»Das zählt nicht.« Wieder zwinkerte sie mir zu. »Du hattest Glück,
dass ich so geduldig und beharrlich bin.«
»Ja«, sagte ich nur. »Da hatte ich wirklich großes Glück.«
Wie gern hätte ich diesen Satz auch von ihr gehört! Ich glaube, sie
merkte das an meinem Tonfall. Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, verschwand aber gleich wieder.
»Weißt du, woran ich mich am besten erinnere?«, fragte ich.
»An meinen Pulli?«
Meine Frau, das sollte ich hier vielleicht kurz erwähnen, war schon
immer sehr schlagfertig. Ich musste lachen. Aber eigentlich war ich
nicht zu Scherzen aufgelegt, deshalb fuhr ich ernsthaft fort: »Ich fand
es schön, dass du stehen geblieben bist, um dich um den Hund zu
kümmern. Und dass du erst weiter gehen wolltest, als du wusstest, er
ist versorgt. Daran habe ich gemerkt, dass dein Herz auf dem rechten
Fleck sitzt.«
Ich hätte schwören mögen, dass Jane bei dieser Bemerkung rot
wurde, aber weil sie schnell zu ihrem Weinglas griff, kann ich es
nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen. Bevor sie etwas erwidern konnte, wechselte ich lieber das Thema.
»Ist Anna schon sehr nervös?«
Jane schüttelte den Kopf. »Ganz im Gegenteil. Man hat den Eindruck, sie macht sich nicht die geringsten Sorgen. Wahrscheinlich
glaubt sie, es läuft alles so geschmiert wie heute Morgen mit dem
Fotografen und der Torte. Als ich ihr meine Liste gezeigt habe, hat
sie nur gesagt: ›Na, dann wollen wir mal loslegen, was?‹« Ich nickte
lächelnd. Wie gut ich mir vorstellen konnte, in welchem Tonfall Anna so
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