Ein Tag wie ein Leben
automatischen Abfallzerkleinerer an. Das laute Gerumpel schien von den Wänden widerzuhallen und die Sprachlosigkeit zwischen uns noch zu unterstreichen. Als es aufhörte, stellte ich
die Teller in die Spülmaschine.
»Übrigens - ich habe im Garten ein bisschen Unkraut gejätet«, sagte ich.
»Ich dachte, das hättest du vor ein paar Tagen schon einmal getan.«
»Stimmt.«
Nun räumte ich das restliche Geschirr in die Maschine, wusch aber
das Salatbesteck vorher ab. Ich drehte den Wasserhahn auf und zu,
schob den Geschirrkorb vor und zurück.
»Hoffentlich hast du nicht zu viel Sonne abbekommen«, sagte Jane.
Diese Bemerkung bezog sich darauf, dass mein Vater an einem
Herzinfarkt gestorben ist, als er gerade den Wagen wusch. Er war
erst einundsechzig. In meiner Familie sind Herzleiden sehr verbreitet, und ich weiß, dass sich Jane deswegen Sorgen macht. Zwar sind
wir inzwischen eher Freunde als ein Liebespaar, aber Jane würde
mich bestimmt aufopferungsvoll pflegen, davon bin ich überzeugt.
Für andere zu sorgen ist für sie das Normalste auf der Welt.
Ihre Geschwister sind ihr da ganz ähnlich. Ich glaube, das liegt an
Noah und Allie. Bei Jane zu Hause wurde viel gelacht, und man
nahm sich oft in den Arm. Natürlich haben sich alle auch gegenseitig
geneckt und aufgezogen, aber immer liebevoll, nie gemein oder hinterhältig. Ich habe mich oft gefragt, was für ein Mensch ich geworden wäre, wenn ich in dieser Familie aufgewachsen wäre.
Jane unterbrach meine Grübeleien. »Morgen soll es wieder sehr
heiß werden«, sagte sie.
»Ja, in den Nachrichten haben sie mindestens fünfunddreißig Grad
angekündigt. Und sehr hohe Luftfeuchtigkeit.«
»Fünfunddreißig Grad?«
»Hieß es.«
»Das ist einfach zu heiß!«
Jane verstaute die Reste im Kühlschrank, während ich die Arbeitsflächen sauber wischte. Weil wir uns zuvor so intim unterhalten hatten, empfand ich diese inhaltslose Konversation jetzt als doppelt betrüblich. Ich konnte Jane ansehen, dass sie mindestens genauso enttäuscht war wie ich. Wie war es möglich, dass wir so schnell wieder
in unser altes Muster verfielen? Sie strich ihr Kleid glatt, als suchte
sie in den Taschen nach Worten. Dann seufzte sie leise, zwang sich
zu einem Lächeln und sagte: »Ich glaube, ich werde jetzt mal Leslie
anrufen.« Ich blieb allein in der Küche zurück und wünschte mir
wieder einmal, ich wäre jemand anderes. War mein Traum von einem Neuanfang von vornherein zum Scheitern verurteilt?
In den zwei Wochen nach unserer ersten Verabredung trafen wir
uns noch fünf Mal, dann fuhr Jane nach New Bern, um dort die
Weihnachtsferien zu verbringen. Zweimal lernten wir zusammen,
einmal schauten wir uns im Kino einen neuen Film an, und an zwei
Nachmittagen gingen wir auf dem weitläufigen Campus der Duke
University spazieren.
Der eine dieser Spaziergänge hat sich mir besonders deutlich eingeprägt. Es war ein trüber Tag, den ganzen Vormittag hatte es geregnet, graue Wolken hingen tief am Himmel. Man hatte das Gefühl, es
wäre schon Abend. Es war ein Sonntag, zwei Tage nach der Rettung
des Hundes. Jane und ich schlenderten die Wege zwischen den verschiedenen Kollegiengebäuden entlang.
»Wie sind eigentlich deine Eltern?«, wollte sie wissen.
Ich ging schweigend ein paar Schritte. »Meine Eltern sind ganz in
Ordnung«, sagte ich dann.
Sie wartete. Offenbar wollte sie noch mehr hören. Als ich abermals
schwieg, schubste sie mich mit der Schulter an.
»Mehr hast du nicht zu sagen?«
Ich wusste, sie wollte mich dazu bringen, dass ich mich öffnete. Es
war mir noch nie besonders leicht gefallen, mich anderen mitzuteilen, aber Jane ließ nicht locker - freundlich, aber bestimmt hakte sie
immer wieder nach, bis ich schließlich etwas sagte. Sie besaß eine
Klugheit, die nur wenige Menschen haben und die nichts mit akademischen Inhalten zu tun hat, sondern mit Menschenkenntnis.
»Ich weiß nicht, was ich sonst noch erzählen könnte«, entgegnete
ich. »Ich habe ganz normale, durchschnittliche Eltern. Sie sind beide
Juristen, arbeiten für die Regierung und wohnen seit zwanzig Jahren
in einem Haus am Dupont Circle, also im Zentrum von Washington.
Da bin ich aufgewachsen. Vor ein paar Jahren haben sie sich überlegt, ob sie vielleicht an den Stadtrand ins Grüne ziehen sollen, aber
sie wollten beide keine lange Anfahrt zum Arbeitsplatz, deshalb sind
wir in der Innenstadt geblieben.«
»Hattet ihr einen Garten?«
»Nein, aber einen Innenhof, und manchmal
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